zum Hauptinhalt

Politik: Schach - ohne Matt (Kommentar)

Regierung und Atomindustrie brauchen eine Einigung über neue Castor-TransporteRobert Birnbaum Atompolitik in Deutschland ist wie ein Schachspiel. Nur komplizierter.

Von Robert Birnbaum

Regierung und Atomindustrie brauchen eine Einigung über neue Castor-TransporteRobert Birnbaum

Atompolitik in Deutschland ist wie ein Schachspiel. Nur komplizierter. Das klassische Schachspiel folgt einer linearen Logik: Die Spieler ziehen abwechselnd jeweils einen Zug. Das große Atomschach aber ist eine Art Synchronpartie, bei der viele Mitspieler auf mehreren, aber zu einem einzigen mehrdimensionalen Brett zusammengeschalteten Unterbrettern sowohl nacheinander als auch gleichzeitig ziehen dürfen. Jeder Zug auf einem Brett beeinflusst dann Positionen, Stärkeverhältnisse und Bewegungsmöglichkeiten auf allen anderen Spielfeldern.

Wie stark alles mit allem zusammenhängt, lässt sich an der wieder frisch belebten Debatte über Atomtransporte aufzeigen. Sie begleitet den zentralen Streit um einen Konsens über die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke von Anfang an. In der Sache ist der Fall gar nicht kompliziert. Deutschland ist unstreitig verpflichtet, Atommüll aus der Wiederaufarbeitung in Frankreich und Schottland zurückzunehmen. La Hague und Sellafield dürfen nicht zu einer Art externe deutsche Endlager werden. Wann von dort wieder Transporte rollen, ist bis zu einem gewissen Grad allerdings eine Frage der Vereinbarung.

Die Betreiber kommen - was ebenfalls unstreitig ist - um einen Abtransport abgebrannter Brennelemente aus den AKWs nicht herum. Unstreitig ist aber auch, dass etliche der Transportbehälter stärker gestrahlt haben als erlaubt. Das führte zum allgemeinen Transportstopp. Bei einigen Behältertypen ist das Problem zu aller Zufriedenheit lösbar, bei anderen, den "Stachelbehältern", bislang nicht. Kaum zu bestreiten ist ferner, dass Atomtransporte in der Bevölkerung und speziell bei der Grünen-Basis unbeliebt sind.

Alle diese Faktoren zusammen haben eine Situation heraufbeschworen, die in ein Patt zu münden droht - jene Stellung, bei der sich der Spieler, der am Zug ist, nicht mehr bewegen kann. Die Atomkonzerne dringen auf Transporte und verdächtigen den grünen Umweltminister Trittin der "Verstopfungsstrategie": Bald könnten Reaktoren nicht mehr mit neuen Brennstäben beladen werden, weil die alten die Zwischenlager verstopfen.

Trittin weiß natürlich, dass er sich nie beim Rechtsbruch ertappen lassen darf: Die Betreiber haben Anspruch auf Transportgenehmigungen, wenn alle Sicherheitsauflagen erfüllt sind. Aber er sieht die Not der Konzerne mit ihren vollen Lagerbecken nicht ungern. Er hat ihnen einen Ausweg geboten, den nach monatelangem Zögern immer mehr Betreiber annehmen: Die Zwischenlager-Kapazität wird ausgeweitet, der Bund schafft die juristischen Voraussetzungen. Die Betreiber lassen sich darauf ein, weil sie wissen, dass ihnen eine abstrakte Transportgenehmigung nichts nützt, solange andere Gründe die Transporte dann doch wieder verhindern: Etwa eine Weigerung des niedersächsischen Innenministers, der Polizei neben dem Großereignis Expo ein weiteres namens Castor-Transport zuzumuten.

Für Trittin hat die Ausweitung der Zwischenlager drei Vorzüge: Der Blockadevorwurf wird weniger plausibel, die Politik ist der Wirtschaft entgegen gekommen. Trittin gewinnt Zeit. Zeit braucht er. Der Grüne weiß ja, dass er früher oder später einer wenig begeisterten Basis wird klarmachen müssen, dass es ohne Transporte nicht geht. Er glaubt diesen Kraftakt durchstehen zu können, wenn er - durch einen mit der Wirtschaft auszuhandelnden Stopp der Wiederaufarbeitung im Ausland und den Übergang zur direkten Endlagerung des Mülls - die Zahl der Transporte auf das unumgängliche Minimum begrenzt und zudem ein Ende aller Castor-Fahrten, wenn auch erst in Jahren, in Aussicht stellen kann.

An diesem Punkt verknüpft sich die Transportfrage wieder mit dem Hauptproblem Atomkonsens. Wenn der Handel "Kürzere Laufzeiten gegen Betriebssicherheit" funktionieren soll, muss er logischerweise einen "Transportkonsens" umfassen - die Zusage der Politik, in einem beiderseits akzeptierten Umfang Atommüll-Transporte zu ermöglichen und im Zweifel gegen Widerstände durchzusetzen. Es spricht einiges für Trittins Theorie, dass die Widerstände sich dann in Grenzen halten werden. Zugleich zeigt gerade das Transportproblem, dass auch die Atomindustrie ein hohes Interesse an einer zügigen Einigung haben muss. Die Entsorgung ist die Achillesferse der Branche. Gelingt der Konsens bald, löst sich auch das Transportproblem. Gelingt er nicht, droht die Transportfrage zum Auslöser einer neuen Eskalation mit höchst ungewissem Ausgang auch für die Atomwirtschaft zu werden. Das Komplizierteste am Atomschach ist, dass die Regel kein Matt kennt. Das Ziel ist ein Remis.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false