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Schächten: Schächten

Die Demonstranten vor dem regennassen Kanzleramt trugen Huhn-, Schafs- und Kuhkostüm, doch trotz der Aufmachung verlief die letzte Kundgebung in Berlin gegen das Schächten zum Jahresanfang unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Das betäubungslose Schlachten taugt hierzulande nicht mehr als großer Aufreger.

Die Demonstranten vor dem regennassen Kanzleramt trugen Huhn-, Schafs- und Kuhkostüm, doch trotz der Aufmachung verlief die letzte Kundgebung in Berlin gegen das Schächten zum Jahresanfang unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Das betäubungslose Schlachten taugt hierzulande nicht mehr als großer Aufreger. Es ist verboten, kann aber im Ausnahmefall aus religiösen Gründen erlaubt werden. Eine Lösung, die zumindest etwas Frieden gestiftet zu haben scheint.

Das war einmal anders. Das religiöse Schlachten, bei dem die Tierkehle mit scharfem Messer durchtrennt wird und man es ausbluten lässt, war eines der ersten Themen, die im muslimisch-abendländischen Dialog vor dem Hintergrund der Anschläge des 11. September 2001 neu verhandelt wurden. Hinzu kam die Verquickung mit dem in Deutschland hochgehaltenen Tierschutz, und, nicht zuletzt, dem Erbe der Nazis, die ein Schächtverbot durchgesetzt und entsprechende Praktiken verfemt hatten.

Das Verbot überdauerte das NS-Regime, wenngleich rituelle Schlachtungen nach dem Krieg geduldet waren. Mitte der achtziger Jahre entschied sich dann der Gesetzgeber für das Verbot-Ausnahme-Modell im Einklang mit EU-Recht, ausdrücklich im Hinblick auf jüdische und muslimische Speisevorschriften.

Die Gerichte waren damals zunächst zurückhaltend, die Einschätzung des Parlaments zu teilen. Es gab immer wieder umstrittene Entscheidungen. Das religiöse Recht stand in niedrigerem Kurs als heute. Im selben Jahr, in dem das Bundesverfassungsgericht Kruzifixe aus Klassenzimmern verbannte, befasste sich dann erstmals das Bundesverwaltungsgericht mit dem Schächten.

Es versagte einem sunnitischen Metzger aus Hessen den Anspruch auf eine Ausnahmegenehmigung. Das Urteil ist gekennzeichnet durch eine heute nur noch schwer vermittelbare Unempfindlichkeit gegenüber muslimischen Belangen. Es gebe für sie keine zwingende religiöse Vorschrift, nur Fleisch geschächteter Tiere zu essen, hieß es, der Verzehr importierten Fleischs bleibe ja möglich. Ansonsten könnten die Gläubigen auf Fisch und Gemüse ausweichen. Der Metzger protestierte, zumal Juden ihre Genehmigungen umstandslos erhielten.

Als das Verfassungsgericht 2002 den Richterspruch aufhob, wirkte es wie eine Provokation, obwohl sich das höchste Gericht an die Reichweite der Religionsfreiheit nur herantastete: Es zog sie unterstützend heran, gab dem Anspruch aber vor allem im Hinblick auf die Berufsfreiheit statt. Die Empörung war trotzdem groß und gab einer Bewegung Auftrieb, die bis dahin viele Jahre erfolglos dafür gekämpft hatte, den Tierschutz ins Grundgesetz aufzunehmen. Dort kam er prompt hinein und steht nun dort als sogenannte Staatszielbestimmung, freilich ohne Tieren die den Grundrechten vergleichbare Eigenrechte zu verleihen. Das Diktum des Verfassungsgerichts, wonach Schächten als muslimischer Ritus möglich bleiben muss, galt damit weiter.

Möglich ist er nun, aber aufgrund hoher Hürden selten. Antragsteller müssen detailliert begründen, weshalb ihnen ihre Religion den Ritus gebietet. Zum Teil müssen sie dafür Dutzende Punkte auf Behördenformularen abarbeiten. Wer das nicht schafft, scheitert. 2011 war nach Zählung des Tierschutzbundes von bundesweit neun Anträgen im Ergebnis nur einer erfolgreich, aufgrund der Genehmigung wurden anlässlich des Opferfests 214 Schafe geschächtet. Einen Antrag aus Berlin gab es nicht.

Im Alltag essen Muslime in Deutschland oft Importfleisch, schlachten sie zu Festtagen, nutzen Gläubige zuweilen auch eine Elektrokurzzeitbetäubung. Wer möchte und die bürokratischen Mühen nicht scheut, kann seine Glaubensfreiheit uneingeschränkt ausüben. Seit zehn Jahren schützt der Staat in diesem Punkt nicht mehr nur die Juden, sondern ausdrücklich auch die Muslime.

214 Schafe starben 2011 unbetäubt mit durchschnittener Kehle – die behördliche Erlaubnis ist selten und schwer zu bekommen

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