zum Hauptinhalt
Auf den Plakaten sind sie nett. Aber der bislang eher langweilige Wahlkampf in NRW ist gut eine Woche vor dem Urnengang doch etwas schärfer geworden. Denn Rot-Grün muss um die sicher geglaubte Mehrheit bangen. Foto: Martin Gerten/dpa

© dpa

Politik: Schärfere Töne

Vorlaute Liberale, starke Piraten, nervöse Rot-Grüne – der NRW-Wahlkampf gewinnt an Fahrt.

Christian Lindner beantwortet Anfragen von Journalisten üblicherweise nicht nur rasch, sondern in vielen Fällen auch gerne persönlich. Den Stress des Wahlkampfes lässt er sich nie anmerken, er ist stets aufmerksam und hat es sich angewöhnt, jede Hand zu schütteln, die er greifen kann. Seine Interviewtermine hat er fein getaktet, es vergeht kein Tag, an dem seine Helfer nicht irgendeine Äußerung des FDP-Spitzenkandidaten in Nordrhein- Westfalen unter den Medienleuten streuen, um auf diesem Wege auch noch für nette Zweitverwertungen seiner Parolen zu sorgen. Weil das so ist, gibt es kaum einen Bürger im Land, der den Lindner- Satz „Lieber neue Wahlen als neue Schulden“ gut eine Woche vor dem Wahltermin am 13. Mai noch nicht gehört hat.

Bei einem Thema wird der Kandidat allerdings auffällig einsilbig. Wenn der liberale Hoffnungsträger nach jenem Brief von Bundestagsfraktionschef Rainer Brüderle gefragt wird, der in Düsseldorf inzwischen als unzulässige Wahlwerbung gewertet wird, verstummt Lindner. „Ich gehe davon aus, dass alles korrekt gelaufen ist“, wird bei entsprechenden Fragen mitgeteilt, viel mehr mögen seine Sprecher dann nicht sagen, der Kandidat selbst schweigt. In den vergangenen Tagen war Brüderles Brief massenhaft zwischen Rhein und Weser aufgetaucht, in dem der FDP-Fraktionschef „Staatsschulden als das süße Gift der Politik“ geißelt und ansonsten zum Teil wortgleich Formulierungen benutzt wie Lindner in seinen Interviews. Die Grünen halten die von der Bundestagsfraktion bezahlte Aktion inzwischen für unzulässige Parteienfinanzierung aus der Staatskasse und sind in dieser Einschätzung von Martin Morlok bestärkt worden. Der Staatsrechtler aus Düsseldorf hält die verfassungsrechtlich gezogenen Grenzen für eindeutig überschritten und sieht die FDP auch dadurch nicht exkulpiert, dass die Briefe nicht nur im größten Bundesland, sondern auch anderswo verteilt worden sind.

Der Streit um die Werbebriefe und deren von der FDP bisher nicht offengelegte Kosten ist der erste heftige Streit im bisher eher lauen NRW-Wahlkampf. CDU-Frontmann Norbert Röttgen hatte zunächst versucht, „Politik aus den Augen der Kinder“ zu präsentieren, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) warb mit ihrem Leitspruch „Kein Kind mehr zurücklassen“, was Lindner regelmäßig zu dem Satz veranlasste, „es fehlen nur noch die Tiere“. Der Mangel an inhaltlichem Tiefgang hatte möglicherweise damit zu tun, dass die Ausgangslage allen Beteiligten so klar erschien, dass sie schon vor dem Urnengang mit der Zeit danach beschäftigt waren.

Besonders auffällig war das bei Röttgen. Er hat seine Chancen realistisch eingeschätzt und ahnt, dass es kaum für Platz eins reichen wird. So hat er sich einen Wahlkreis in Bonn ausgesucht, den er kaum direkt gewinnen kann, und da die Liste bei der CDU vermutlich nicht ziehen wird, rechnen selbst Optimisten in der Partei nicht damit, dass der eigene Spitzenmann in den Landtag einzieht. Röttgen wird demnach in Berlin Minister bleiben. Sollte es zu einer großen Koalition kommen, wird er Armin Laschet und Karl Josef Laumann, den anderen CDU-Spitzenleuten in NRW, den Vortritt lassen – und damit für Ruhe in der Partei sorgen.

SPD und Grüne sind inzwischen damit beschäftigt, die ursprünglich sicher geglaubte Mehrheit auch zu bekommen. Seit die Piraten an Rhein und Ruhr in den Umfragen um die zehn Prozent pendeln, sind die rot-grünen Koalitionäre nervös. Die FDP hat sich mit Lindner, der Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag werden will, in Umfragen an die Fünfprozentmarke herangerobbt. Daher muss inzwischen nur die Linke fürchten, dem kommenden Landtag nicht mehr anzugehören. So hat die Aussicht auf ein möglicherweise sehr knappes Wahlergebnis den Ton verschärft. Und SPD und Grüne gehen arbeitsteilig vor. Im Fernsehduell der Spitzenkandidaten ging Kraft den Piraten Joachim Paul mehrfach frontal an. „Ich würde schon gerne wissen, was Sie im Parlament machen, wo Sie Fragen beantworten müssen“, keilte sie, während sich die Grünen an den Liberalen abarbeiten. Die Grünen erinnern im Zusammenhang mit dem Brief Brüderles daran, dass einst der Lindner-Entdecker Jürgen W. Möllemann ebenfalls mit unsauberen Aktionen gearbeitet habe. Auch dazu sagen die Liberalen heute ungern etwas, denn dass sie ihren 800 000 Euro teuren Wahlkampf weitgehend mit Krediten finanzieren müssen, hat auch damit zu tun, dass sie noch immer unter den Strafgeldern leiden, die sie die unerlaubten Möllemann-Aktionen vor Jahren gekostet haben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false