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Politik: Schaffen muss es jeder selbst

Von Christoph von Marschall

Aus Stolz ist Furcht geworden. Einwanderung ist das Gründungsprinzip der USA. „Gastarbeiter“ mochte es in Europa geben. Hierher kam man, um zu bleiben – und bis jetzt hat das Land noch aus allen über kurz oder lang gute Amerikaner gemacht. Verwundert blickte man auf die Immigrantenunruhen in Frankreich, auf die Debatten um Staatsbürgerschaft oder Sprachprobleme von Erstklässlern in Deutschland – und lehnte sich erleichtert zurück: Das kann hier nicht passieren. Die gelernte Einwanderernation heißt jeden willkommen, der für sich und die Kinder ein besseres Leben erarbeiten will. Ja, erarbeiten. Verschenkt wird nichts, schon gar keine Sozialhilfe ohne Gegenleistung. Der Anfang ist hart, doch unzählige Beispiele vom sozialen Aufstieg in der zweiten oder dritten Generation bestätigen die Amerikaner in der Gewissheit, dass Integration bei ihnen funktioniert. Gerührt hören sie, wenn fremd aussehende Menschen sich als „American Arab“, „American Pacistani“, „American Chinese“ vorstellen und so zu ihrer neuen Heimat bekennen.

Doch plötzlich hat das Wort „Gastarbeiter“ auch in den USA Konjunktur: Durch zeitlich begrenzte „guest worker programs“ könne man der Wirtschaft billige Arbeitskräfte sichern und den Migrationswilligen bessere Verdienstmöglichkeiten als in ihrer Heimat eröffnen. Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses läuft Sturm gegen das Projekt des Präsidenten und des Senats, den schätzungsweise elf Millionen Illegalen im Land ein Angebot zu machen, wie sie ihren Aufenthalt legalisieren. Sie fordert, die Grenze zu Mexiko durch einen rund tausend Kilometer langen Zaun abzudichten. Eine Amnestie komme nicht in Frage, die würde Rechtsbrecher bevorteilen gegenüber Millionen Menschen weltweit, die geduldig auf ihr Einwanderungsvisum warten.

Amnestie ist für die Mehrheit kein positiver Begriff. Die Durchsetzung des Gesetzes und das Prinzip, dass zu Rechten Pflichten gehören, sind für die Amerikaner ebenso wichtig wie der emotionale Appell, „dass wir doch alle Einwanderer sind“. Unausgesprochen diskutiert die Angst mit, dass der „melting pot“ an Kraft einbüßt, dass es nicht mehr gelingt, alle Einwanderer auf den „American way“ zu verpflichten. Im Südwesten ist Spanisch so verbreitet wie Englisch, vor 2050 werden die Zuwanderer aus dem Süden ein Viertel der Einwohner stellen.

Es geht nicht um Amnestie, erklären die Befürworter der Liberalisierung, sondern um die pragmatische Anerkennung der Realität – samt Pflichten für die Illegalen. Sie müssen eine Strafe zahlen und Steuern entrichten, um Schulen und Krankenhäuser, die ihre Familien nutzen, mitzufinanzieren. Auch das lernt Amerika in diesen Tagen: Typische Illegale sind nicht allein stehende junge Männer. Typisch sind Familien, von denen viele seit über zehn Jahren im Land leben, mit Kindern, die hier aufwachsen, und Eltern, die beide Tag für Tag zur Arbeit gehen. Mit anderen Worten: Anders als in Europas sind die meisten Illegalen integriert, der US-Pass käme als Bestätigung im Nachhinein.

In Frankreich kam der Pass zuerst und hat doch nicht bewirkt, dass dort aufwachsende Araber sich als Franzosen fühlen. Würde der deutsche Pass etwas ändern an den Problemen in Berlins Schulen? Amerika geht mit Neuankömmlingen entschiedener um: mehr Härte und Druck, Sprache und Regeln zu akzeptieren. Aber auch mehr Offenheit, Fremde willkommen zu heißen. Amerika hat Jahrhunderte geübt, ein Einwanderungsland zu sein. Diese Zeit hat Deutschland nicht.

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