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Hand drauf. Marco G. begrüßt im Düsseldorfer Gericht den Mitangeklagten Koray D. (links).

© dpa

Scharia-Polizei in Wuppertal: "Der Joke hat funktioniert, die Moschee ist voll"

In Wuppertal patrouillierten selbsternannte Sittenwächter als "Scharia-Polizei", in Düsseldorf stehen Salafisten wegen versuchten Mordes vor Gericht. Was sind das für Leute, die im Namen Allahs Angst und Schrecken verbreiten? Eine Reportage.

Von Frank Jansen

Ein Witz. Das soll es am Ende gewesen sein – heißt es. Oder eher: heitere Öffentlichkeitsarbeit. Eine Handvoll junger Männer streifte sich orangefarbene Leuchtwesten über, auf ihren Rücken stand in weißer Schrift: „Sharia Police“. Als selbsternannte Sittenwächter nach islamischem Recht zogen sie nachts durch die Straßen Wuppertals. Es war ein sehr schlechter Witz, PR-technisch jedoch ein voller Erfolg. Alle wissen nun Bescheid.

Warum also nicht die Scharia-Polizei noch ausdehnen auf andere deutsche Städte? Warum nicht „den Djihad mit der Zunge“ führen, den heiligen Krieg mit Worten anfachen? Das diskutieren Sven Lau und Pierre Vogel in einem Video bei Youtube, die zwei radikalislamischen Salafisten, die jene Aktion verantworten. Konvertiten, Stars einer Szene, die Politiker auf lokaler und Bundesebene beschäftigt. Und denen doch gegen derart „religiöse Empfehlungen“ kaum mehr bleibt als Worte wie jene von Innenminister Thomas de Maizière: „Die Scharia wird auf deutschem Boden nicht geduldet.“

Es ist ein langwieriger Kampf, den die deutschen Sicherheitsbehörden gegen radikale Muslime kämpfen. Er wird dieser Tage nicht nur in den Straßen Wuppertals geführt, sondern auch im Düsseldorfer Oberlandesgericht. Vier Angeklagte müssen sich dort seit Montag verantworten. Ein junger Salafist soll am Bonner Bahnhof eine Bombe gelegt, gemeinsam mit Glaubensbrüdern zudem einen Mord geplant haben. Zwei Jahre soll der Prozess dauern, dem Hauptangeklagten droht – lebenslänglich.

Eine "Hinterhofmoschee"

Kurz vor Prozessbeginn, Wochenende in Wuppertal, früher Abend, Cafés und Kneipen sind gut gefüllt. Von der Elberfelder Innenstadt, dem Zentrum von Wuppertal mit großer Fußgängerzone und dem Hauptbahnhof, sind es nur zwei Stationen mit der Schwebebahn zur Haltestelle Landgericht – und von dort nur wenige Minuten zu Fuß bis zur Moschee der selbsternannten Scharia-Polizisten. Die Klophausstraße, in der die Moschee liegt, steigt steil an, rechts von ihr ein Wald, links ältere Industriegebäude.

Die Darul Arqam Moschee ist das, was man im schlechten Sinn als „Hinterhofmoschee“ bezeichnen kann. Der Eingang zum Treppenhaus liegt in der hintersten Ecke des Innenhofs, an der Tür hängt ein Blatt Papier mit dem Logo der Moschee und der Bitte, nicht im Hof zu parken. Die Tür ist offen, die Räume sind im ersten Stock. Dort hängt wieder ein Blatt Papier mit dem Logo. Vor der Tür der Moschee stehen zwei Regale, darin einige Schuhe. Nach mehrfachem Klopfen öffnen zwei junge Männer, beide etwa 20 Jahre alt. Reden wollen sie nicht. „Die Situation ist gerade sehr heikel“, sagt einer der beiden. Später wiederkommen? Vielleicht.

Die Flyer landen im Papierkorb

Videos, die von den Patrouillen der Scharia-Polizei gedreht wurden, zeigen diese meist in einer Straße namens Gathe. Die Gathe ist eine Ausfallstraße der Elberfelder Innenstadt, hier gibt es kleine Geschäfte, Restaurants, das Kulturzentrum Feuerwache, die Moschee der Ditib-Gemeinde, ein „Autonomes Zentrum“, viele Spielhallen und Wettbüros. Weiter die Straße entlang geht es in den Stadtteil Ostersbaum, geprägt von alternativer Kultur und dem Zusammenleben vieler Migranten. Samstags ist es voll auf der Gathe, Menschen unterhalten sich auf den Bürgersteigen oder gehen in eines der vielen Lokale. Der ideale Platz also für die Streifengänge der Scharia-Polizei. In der ersten Spielhalle möchte man keine Auskunft über die Salafisten geben. In drei weiteren sieht es ähnlich aus. Nur in einer Spielhalle erzählt die Aufsicht wenig begeistert vom Besuch der Salafisten. Sie hätten einen Spieler angesprochen und Flyer dagelassen, die schnell im Papierkorb gelandet seien.

Zurück zur Moschee, ein zweiter Versuch. Auf dem Parkplatz steht ein junger Mann mit langem Bart, wallendem Gewand und islamischer Kopfbedeckung. Schon von draußen ist zu hören, dass es in der Moschee mittlerweile deutlich voller ist. Die Fenster sind geöffnet. Eine Interviewanfrage wird diesmal schon an der Tür zum Treppenhaus abgelehnt. Von einem Mann Mitte 20, der eher aussieht wie ein Fußball-Hooligan. Er ist muskulös, die Arme sind tätowiert, er trägt eine Jogginghose und eine Bauchtasche. „Unser Imam ist nicht da, ich kann keine Interviews geben“, sagt er. Auf die Scharia- Polizei angesprochen erklärt er: „Das war ein Joke, aber der hat funktioniert, die Moschee ist voll.“

Was sind das für Leute, die im Namen Allahs Angst und Schrecken verbreiten?

Die Salafisten wirken eingeschüchtert, die Scharia-Polizei war von ihnen zwar als Provokation geplant, aber mit dieser Reaktion von Medien und Politik scheinen sie nicht gerechnet zu haben. In einer E-Mail lehnt Sven Lau, Kopf der Wuppertaler Gruppe, jede Anfrage ab. Er schreibt: „wären nicht fast alle Kollegen von ihnen Lügner hätten sie noch eine chance.“ Mit Bürgern wolle er sprechen, nicht aber mit den Medien, da diese die Wahrheit verdrehten.

An der Gathe will schließlich doch jemand etwas ausführlicher vom Besuch der Scharia-Polizei erzählen: Cengiz, 32, der in einem Wettbüro arbeitet. Am vergangenen Mittwoch seien Sven Lau und seine Anhänger zu viert in das Wettbüro gekommen. Lau habe Flugblätter auf die Theke legen wollen. Cengiz erklärte ihm, dass dies von seinem Chef nicht gewünscht sei, egal, um was für Flyer es sich handele. Cengiz lacht, als er von Laus Antwort erzählt. Der habe gesagt: „Dein Chef ist Allah.“

"Keiner hier wird darauf hören, was die sagen"

Die übrigen Salafisten, sagt Cengiz, hätten auf ihn gewirkt wie „dumme Mitläufer“. Er versichert: „Keiner hier wird darauf hören, was die sagen, die meisten lachen sie aus.“ Und doch ist Cengiz auch ein wenig besorgt. Denn seiner Ansicht nach ziehen die Salafisten mit ihrer Aktion sämtliche Migranten und vor allem den Islam pauschal mit in den Dreck. Auch dass so viel über die Scharia-Polizei berichtet werde, finde er nicht gut. „Den paar Leuten wird viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.“ Worüber geschrieben werden sollte: „Wir haben in Wuppertal eine große rechte Szene, die verprügeln Menschen, darüber sollte mehr berichtet werden.“ Tatsächlich haben mittlerweile auch Wuppertaler Neonazis auf die Scharia-Polizei reagiert. Sie wollen jetzt in roten T-Shirts als „Stadtschutz“ durch die Straßen patrouillieren und für „Recht und Ordnung“ sorgen.

Am ersten Tag im Düsseldorfer Prozess versammeln sich im Saal des Oberlandesgerichts Fanatiker fast jeder Couleur: Islamisten, Funktionäre und Anhänger der rechtsextremen, islamfeindlichen Partei Pro NRW. Hier müssen sich der mutmaßliche Bombenleger Marco G. und seine vermeintlichen Mittäter Enea B., Koray D. und Tayfun S. verantworten. Und auch hier stellt sich die Frage: Was sind das für Leute, die im Namen Allahs Angst und Schrecken verbreiten?

Warnung vor kampferprobten Rückkehrern

Marco G. soll auch und zusammen mit Enea B., Koray D. und Tayfun S. im März 2013 ein Attentat auf Parteichef Markus Beisicht vorbereitet haben. Nachdem Pro NRW die salafistische Szene provoziert hatte. Die Islamfeinde zeigten im Mai 2012 demonstrativ vor Treffpunkten der Salafisten in Solingen und Bonn die von denen gehassten Mohammed-Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard. Es kam zu schweren Krawallen. Und die Spirale der Eskalation dreht sich immer weiter.

Islamisten in Syrien und Irak haben reichlich Zulauf aus den salafistischen Szenen in Deutschland und Europa, die Sicherheitsbehörden warnen vor kampferprobten Rückkehrern. Nun richten sich die Augen und mit ihnen auch Ängste auf den Prozess in Düsseldorf. Weil Salafisten und rechtsextreme Islamfeinde dort hautnah aufeinander treffen.

Ihr könnt euch nennen wie ihr wollt. Hauptsache ihr macht weiter

Junge muskulöse Männer mit aggressiver Miene, sportlich locker gekleidet. Die Anhänger von Pro NRW, ähnlich wie die Salafisten im Freizeitdress, mustern die mit kalten Blicken. Der Vizechef der Partei bemüht sich, sachlich zu wirken. Dass der Verfassungsschutz Pro NRW als rechtsextrem bezeichne, sei „politisch motiviert“, sagt Dominik Roeseler. Er vertritt den Parteivorsitzenden Markus Beisicht. Als Nebenkläger ließ ihn das Oberlandesgericht zu seinem Ärger nicht zu.

Um 12 Uhr 27, mit eineinhalb Stunden Verspätung wegen eines noch am Morgen eingegangenen Befangenheitsantrags gegen die Richter des 5. Strafsenats, betritt Marco G. den Saal. Er genießt seinen Auftritt. Der untersetzte Konvertit, 27 Jahre alt, dicker Bart, den Schädel verdeckt ein schwarzes Piratentuch, hebt den rechten Zeigefinger, „Allahu akbar!“ Es folgt der Deutschtürke Koray D., 25, seine Haare lang und ungekämmt, auch der Bart wirkt zauselig. Tayfun S., 24-jähriger Deutscher mit türkischen Wurzeln, trägt eine Gelfrisur mit Nackentolle, der Bart ist schütter. Es folgt der Albaner Enea B., die wildeste Erscheinung der Anklagebank. Buntes Piratentuch auf dem Kopf, grimmiger Blick, nackte, kräftige Unterarme, laute Rufe „Allahu akbar!“

Grinsen im Publikum

Gleich zu Beginn machen die Angeklagten deutlich, dass sie das Gericht und der Prozess nicht weiter interessieren. Bis auf den jungenhaften Tayfun S. bleiben alle sitzen, als der Vorsitzende Richter Frank Schreiber und seine Kollegen den Saal betreten.

Die Angeklagten lachen sich gegenseitig und den Salafisten im Publikum zu, die grinsen zurück. Nach einigem Gezerre zwischen einem Verteidiger von Enea B. und Richter Schreiber wegen des Befangenheitsantrags kann Bundesanwalt Horst Salzmann den Anklagesatz verlesen. Marco G. habe mit dem selbstgebastelten Sprengsatz auf dem Bonner Bahnhof am 10. Dezember 2012 einen Anschlag auf ein „weiches Ziel“ innerhalb Deutschlands verüben wollen, „um dadurch eine Vielzahl Menschen zu töten“. Als Vergeltung „für das Zurschaustellen islamkritischer Mohammed-Karikaturen in Deutschland oder für den dazu erfolgten Aufruf durch die Partei Pro NRW“. An dem Sprengsatz seien vier Gaskartuschen befestigt gewesen, die dessen Gefährlichkeit erhöhen sollten. Entgegen des Tatplans sei es jedoch aufgrund eines Konstruktionsfehlers „oder des eher fragilen Aufbaus der Zündauslösevorrichtung zu keiner Detonation“ gekommen, sagt Salzmann.

Mehr Rundgänge nach dem Wuppertaler Modell

Im Dezember 2012 hätten sich Marco G., Enea B., Koray D. und Tayfun S. „als Mitglieder einer konspirativ handelnden, radikal-islamistischen inländischen terroristischen Vereinigung“ zusammengeschlossen. Um führende Mitglieder der Partei Pro NRW zu töten „und damit die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen“, trägt der Bundesanwalt vor. Die Angeklagten sollen sich zwei Pistolen beschafft, Koray D. soll zwei Schalldämpfer gebastelt haben. Bei der letzten Fahrt zur Ausspähung des Wohnsitzes von Pro-NRW-Chef Beisicht, in der Nacht zum 13. März 2013, seien G. und B. festgenommen worden, sagt Salzmann. Er wirft Marco G. wegen der Bonner Bombe versuchten Mord und versuchtes Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion vor. Und allen vier Angeklagten die Bildung einer terroristischen Vereinigung, die Verabredung zum Mord an Beisicht und illegalen Waffenbesitz. Marco G. und Enea B. lachen sich zu, Koray D. nickt in Richtung der Salafisten im Publikum. Die Anklage, so scheint es, finden die Angeklagten amüsant.

Ganz so wie auch die beiden Salafisten Pierre Vogel und Sven Lau in ihrem Video über diese Welt nur müde lächeln können. Ihre Anhänger rufen sie zu mehr Rundgängen nach dem Modell der Wuppertaler Sittenwächter auf: Ihr könnt euch nennen wie ihr wollt. Hauptsache ihr macht weiter.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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