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Politik: Schauen wir genau hin

Von Stephan-Andreas Casdorff

Wir sind gefangen. Gefangen von den Bildern, die wir täglich anschauen, ohne sie noch wirklich wahrzunehmen, und von einer Strategie, die ganz offenkundig, für jedermann sichtbar, nicht aufgeht. Nein, hier geht es nicht um die Koalitionsverhandlungen – es geht um den Irak.

Verstümmelte Menschen, zerfetzte Leiber, zerstörte Städte, das ist das Bild, das sich täglich bietet. Ein Land in Zerrüttung, eines, das nicht zur Ruhe kommt, nicht zur Ruhe kommen will, in dem sich ein Höllentor geöffnet hat. Wie furchtbar, dass Saddam, der Teufel, mit dieser Prophezeiung Recht hatte. Als sie ihn aus seinem Erdloch zogen, war es wie eine Befreiung. Aber alles, was seither geschehen ist – wie soll man das verstehen? Wer will das Frieden nennen, wer will da die Freiheit preisen.

Jeden Tag sterben unschuldige Frauen, Männer und Kinder, weil Terror regiert. Zwei, sechs, 20, 60, jetzt 110 Tote. Unfassbare Zahlen, eigentlich. Es sind Zahlen, die wir nicht gepeinigt berührt übersehen oder beschweigen dürfen, sondern beklagen müssen. Gerade wir. Denn jeden Tag geschieht ein London im Irak, ein derart verheerender Bombenanschlag wie vor Monaten in der britischen Hauptstadt. Darüber gab es Sonderseiten in den Zeitungen, über tote Briten. Heute gibt es Pornoseiten im weltweiten Netz, wo Iraker als Leichen ausgestellt werden.

Hunderttausende Soldaten wurden für hunderte Milliarden in dieses Land geschickt. Es sollte befreit werden, von Saddam, vom Terror. Es sollte zum Vorbild werden für den Nahen und Mittleren Osten. Ist es von Saddams (Un-)Geist befreit? Vom Terror? Kann es ein Vorbild sein? Nein, so nicht. Die Theorie der USA, nach der der Irak Auslöser für eine sich immer weiter ausbreitende Welle der Demokratisierung dieser Region sein sollte, eine Dominotheorie, scheitert an der blutigen Wirklichkeit – wenn es so weitergeht. Das darf es nicht, wegen dieses Landes nicht, und wegen der anderen Länder. Der besetzte Irak ist zum Wirt des Terrors geworden. Der breitet sich aus, parasitär. Jeder Tag gebiert neuen Terror, neuen Unfrieden, neue Unruhe, Tote. Ein Teufelskreis – denn die anderen Länder dürfen nicht auf diese Weise den Islamisten, den Radikalen in die Hände gespielt werden, die die westliche Welt, voran die USA, als Satan brandmarken. Und dafür eben jeden Tag zum Beweis nehmen.

Gibt es keinen Ausweg? Diese Frage beherrscht die Politik, sie wird nur nicht so laut gestellt, weil sie in der westlichen Welt, voran in den USA, als Antiamerikanismus missverstanden wird. Denn der US-Präsident sagt: „Wir haben einen Siegesplan, unsere Strategie ist klar. Die Terroristen werden scheitern, weil die Iraker frei sein wollen.“ Das ist als Antwort zu schlicht, um wahr zu sein. Die Iraker müssten erst einmal lernen, lernen können, die Befreiung als Freiheit wahrzunehmen. Und das muss ihnen ermöglicht werden.

Es reicht nicht, den Irak infanteristisch einzunehmen. Vielmehr muss das Vertrauen der Iraker gewonnen werden. Das Konzept ausgedehnter zivil-militärischer Zusammenarbeit, ressortübergreifend, ressourcenübergreifend, länderübergreifend, ist eine Chance. Das Militär als Schirm für zivile Hilfe, Protektion statt Protektorat. Es geht um Inseln der Sicherheit, aus denen Inseln des Vertrauens werden. Und mit der Zeit wird der Radius des Vertrauens immer größer. Hoffentlich.

Wir dürfen uns darum nicht zu Gefangenen einer falschen Anschauung machen lassen.

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