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Politik: Schauen wir uns um

Von Stephan-Andreas Casdorff

Er trug seine Orden mit Stolz. Er war stolz darauf, ein Deutscher zu sein. Er war Jude. Und ein Glücksfall für dieses Land. Paul Spiegel ist tot, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er wäre, sagten Umfragen, auch als Bundespräsident vorstellbar gewesen.

Bei manchen Menschen ist es weniger wichtig, was sie sagen, als vielmehr, wie sie es sagen. Das Einfühlsame war Spiegels Stärke. Seine Bonhomie kam bescheiden daher. Er konnte Zuhörer für sich einnehmen, ehe die es verstanden. Das war seine Art. Seine Form von Überredung ohne große Worte. Das wird fehlen. Dem Land und dem Zentralrat.

Gerade jetzt fehlt diese Gabe, im Umbruch, in dem beide sich befinden, der Zentralrat und Deutschland. Das Ausgleichende, das Sozialgesinnte, das Uneitle. Dazu die Gabe, sich verständlich zu machen, Verstehen zu fördern. Wie oft ist das gefordert worden: Sage ungewöhnliche Dinge mit gewöhnlichen Worten. Manche können es aus sich heraus, und so gelangen sie dorthin, wo andere niemals hinreichen. Wer so lebensklug ist, wie Spiegel war, bringt es weit. Der erreicht die Herzen.

Das ist hochpolitisch, eben weil dieses Land – jetzt aufs Neue – nach dem richtigen Weg sucht. Die Politik und, anrührende Parallelität der Entwicklungen, der Zentralrat auch. Deutschland muss sich mühen, die Integration von Menschen voranzubringen, die einer Mehrheit fremd erscheinen. Es muss alles versuchen, das sich zugleich ausbreitende Gefühl eines Bedeutungsverlusts dieser Mehrheit nicht weiter wachsen zu lassen. Die Angst vor Unterprivilegierung – auf allen Seiten – ist ein schlechter Wegbegleiter.

Die jüdischen Gemeinden haben tausende von Juden aufgenommen, die aus Osteuropa und den Weiten der vormaligen Sowjetunion kommen. Das ist nicht nur bemäntelnd gesagt eine Herausforderung, das ist wirklich eine. Denn die, die hier leben, hier aufgewachsen sind, die jüdischen Deutschen, fühlen sich starkem Druck ausgesetzt in ihrer Lebenshaltung. Die anderen sind so anders. Sind so herausfordernd im Ton, im Anspruch, in ihrer Art. Nicht alle, aber viele, und es sind viele. Auch viele Klagen, dass sich das Gesicht der Gemeinden verändere.

Das als Bereicherung zu empfinden, ist nicht einfach. Spiegelbildlich gilt das für die gesamte Gesellschaft. Es bedarf einfacher, klarer, warmherziger Worte, um auf alle Betroffenen einwirken zu können. Um möglichst allen deutlich zu machen, dass ein Ausgleich der Interessen nötig ist: eine offene Aufnahme derer, die da kommen, weil sie in diesem Land ihren Platz finden können, und die Anforderung, sich auf das Land auch wirklich einzulassen. Beides muss die Regel sein.

Wie schwer sich die Politik tut, danach zu handeln, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, war in den vergangenen Wochen jeden Tag zu erleben. Der Vernunft eine Gasse, hätte man rufen mögen – auch hier fehlte Spiegels Stimme. Die jüdischen Gemeinden haben es ja, was ihre eigene Herausforderung betrifft, immer wieder von ihm hören können: Ihre Geschichte ist eine der Zuwanderung. Und schauen wir uns um: Überhaupt ist unsere Geschichte eine der Zuwanderung. Zuckmayer lässt grüßen. Der Bundespräsident, auch der, der nach Johannes Rau gekommen ist, hat dies zu seinem Thema gemacht. Der nächste Zentralratspräsident wird es ebenfalls tun – müssen. Man hört schon einige Stimmen, manche leiser, manche lauter. Salomon Korn, Stephan Kramer, andere. Möge, wer da kommt, lebensklug sein. Dann klingt er wie von Paul Spiegel gerufen.

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