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Politik: Scheidung nach 300 Jahren?

Schotten und Engländer verspüren wenig Lust, die Gründung Großbritanniens zu feiern – die Zukunft der Union ist fraglich

„Ewig“ sollte die Union der Königreiche Schottland und England währen, für die das schottische Parlament am 16.Januar 1707 nach monatelangen Debatten stimmte. 300 Jahre später geben Wettbüros der am 1. Mai 1797 unter dem Namen „Großbritannien“ besiegelten Union keine große Zukunft mehr: Die Quoten dafür, dass die Union die nächsten 50 Jahre überlebt, stehen bei eins zu zehn.

Groß gefeiert wird denn auch nicht an diesem Dienstag. Der Antrag des einzigen konservativen schottischen Abgeordneten, David Mundell, wenigstens ein paar Sondermarken aufzulegen, wurde abgelehnt. Nur eine neue Zweipfundmünze ließ die Königin als Münzherrin des Vereinigten Königreichs prägen.

Schuld an der gedämpften Freude sind „politische Empfindlichkeiten“, wie Mundell sie nennt. Die 300-Jahr-Feiern fallen zusammen mit dem erbittertsten Wahlkampf, den Schottland seit Jahrzehnten erlebt. Gewählt wird am 3. Mai, zwei Tage nach dem Feuerwerk zum Inkrafttreten der Union. Umfragen deuten darauf hin, dass dann die schottische Nationalpartei SNP unter ihrem Chef Alex Salmond als stärkste Partei ins neue schottische Parlament einziehen dürfte. In Umfragen liegt der SNP-Vorsprung bei bis zu sechs Prozentpunkten. Die SNP wird von einer Doppelwelle hochgetragen: Der Unzufriedenheit mit Labour und Tony Blair. Und einem Dank Labours Regionalisierungspolitik und großzügiger Finanzzuschüsse gewachsenen Selbstbewusstsein. Das alles macht Lust auf noch mehr Unabhängigkeit. Laut „Mail on Sunday“ sind 51 Prozent der Schotten für die Auflösung. 48 Prozent der Engländer würden ihnen dabei keine Steine in den Weg legen.

Zögerlich nur beginnen die Politiker der großen Parteien zu reagieren: Gordon Brown, der britischer Premier werden will und als Schotte kein Land zu regieren hätte, wenn sich Großbritannien auflöste, warnte vor der „Balkanisierung Großbritanniens“. Er fordert einen neuen britischen Patriotismus und schlug sogar die Schaffung eines „Instituts für Britentum“ vor. „Unser Land wird von Sezessionisten in Schottland, Wales und sogar England herausgefordert. Es ist an der Zeit, deutlich zu sagen, was wir, das britische Volk, an gemeinsamen und patriotischen Visionen für die Zukunft haben.“ Auch der Chef der Konservativen, David Cameron, sprang für die Union in die Bresche, doch nicht, ohne ein bisschen Wahlkampf zu machen: Browns Andeutungen, die Unabhängigkeit würde den Schotten wirtschaftlichen Schaden zufügen, nannte er die reine Einschüchterung. Führt Salmond die nächste schottische Regionalregierung, würde er nach einer „Periode der Reflexion und Debatte“ ein Unabhängigkeitsreferendum durchführen. Stimmen die Schotten für die Trennung, würden Verhandlungen über die Aufteilung des Nationalvermögens beginnen, vor allem der schottischen Erdölvorkommen. Die Engländer müssten ihre Streitkräfte abziehen – auch die Trident- Atom-U-Boote, die auf Schottlands Tiefseehäfen angewiesen sind.

Noch scheint niemand so richtig zu glauben, dass es so kommen könnte. Historiker erinnern daran, dass nie mehr als 30 Prozent der Schotten für die Unabhängigkeit stimmten, wenn es darauf ankam. „Je näher die Stunde der Wahrheit rückt, desto realistischer wird man“, so der englische Verfassungstheoretiker Robert Hazell. „Vor allem, wenn man den Schotten erklärt, dass sie dann mit Brüssel ihren EU-Beitritt neu verhandeln müssen.“

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