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Schengen-Beitritt: Schweiz - Kleine Gemeinschaft

Mit dem Beitritt zum Schengenraum rückt die Schweiz näher an die Europäische Union heran. Wird damit auch eine EU-Mitgliedschaft des Landes wahrscheinlicher?

Die kleine Schweiz geht weiter auf das große Europa zu. An diesem Freitag wird Deutschlands südlicher Nachbar Mitglied im Schengenraum. Die Schengenstaaten der EU garantieren ihren Bürgern freie Fahrt an den Grenzen. Ein Kontinent ohne Kontrollen. Und sie kooperieren eng in der Verbrechens- und Betrugsbekämpfung. Die Eidgenossen treten auch dem Dublin-Abkommen der EU über Asylbewerber bei.

Schengen und Dublin markieren für die Schweizer einen enormen Schritt. Aber die Chance, dass daraus in absehbarer Zeit eine EU-Mitgliedschaft entsteht, ist gering. Der Schritt passt sich vielmehr nahtlos in Berns Europastrategie der dosierten Kooperation ein. Man handelt mit dem Klub der Europäer bilaterale Wirtschafts-, Forschungs- und Luftverkehrsabkommen aus. Oft fahren die Schweizer auch im Windschatten der EU – etwa bei den Gesprächen zur Liberalisierung des Welthandels.

Ein EU-Beitritt wäre zu teuer

Mehr Gemeinsamkeit wollen die Eidgenossen aber nicht riskieren. Denn eine EU-Mitgliedschaft würde sie schlicht zu viel kosten und ihnen zu wenig nutzen. Als kleines Land mit rund 7,5 Millionen Einwohnern hätte die Schweiz in Brüssel politisch nicht viel zu melden. Selbst das EU-Neumitglied Bulgarien zählt mehr Einwohner. Die oft steif wirkenden Politiker aus Bern hätten keine andere Wahl, als sich in Brüssel wechselnden Koalitionen der EU-Mitglieder anzudienen. Letztlich müssten sie sich dem Willen der großen Spieler wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich beugen. Für das freiheitsliebende Volk Wilhelm Tells ist das ein schier unerträglicher Gedanke.

Auch müssten die sparsamen Schweizer ihre Staatskasse weit öffnen. Während die meisten EU-Neulinge jahrelang in den Genuss üppiger Finanzhilfen aus Brüssel kommen, wäre das wohlhabende Land der Banken (UBS), der Versicherungen (Zurich) und der internationalen Multis (Nestlé) ab seinem Beitritt Nettozahler – doch ohne große politische Macht. Zudem geriete der Finanzplatz Schweiz in ernste Gefahr. Schon jetzt muss Bern alle Kraft aufbieten, um das Bankgeheimnis und die tiefen Steuersätze gegen Angriffe aus den EU-Staaten zu verteidigen. Beides dient den Eidgenossen aber als Trumpf im globalen Wettbewerb um Kapital. Dabei wird in Kauf genommen, dass so mancher Euro oder Dollar, der in Züricher und Genfer Tresoren verschwindet, aus zweifelhaften Geschäften stammt.

Die EU beschuldigt die Schweiz des "Rosinenpickens"

Diese Politik erzeugt in Brüssel oft Unmut. Die Eurokraten beschuldigen die Eidgenossen des „Rosinenpickens“. Erst vor wenigen Tagen bemängelte die EU die ungenügende Umsetzung des Abkommens über die Personenfreizügigkeit durch die Schweiz. In Zukunft will die EU härter mit dem kleinen Land in ihrer Mitte verhandeln. Je schroffer aber die Europäer auftreten, desto unwahrscheinlicher wird die Möglichkeit eines helvetischen EU-Beitritts.

Dass die Eidgenossen in Verhandlungen für sich viel rausholen, zeigt Schengen. Da die Schweiz auch als Schengen- Mitglied der EU-Zollunion nicht angehört, können die Behörden weiter Waren an den Grenzen kontrollieren. Die Frage der Grenzer: „Häänd Sii Waare debii“ wird dort auch in Zukunft zu hören sein. Und im Rahmen der Warenkontrollen können die Eidgenossen die Identität der Person checken. Auch nach der Umsetzung Schengens dürfen die Schweizer in Ausnahmefällen „systematische und verdachtsunabhängige Personenkontrollen“ durchführen. Besteht ein Verdacht auf eine strafbare Handlung, können Einreisende zudem überprüft und festgehalten werden. Vor allem im Gebiet hinter den Grenzen wollen die Eidgenossen künftig mehr mobile Kontrollen einsetzen. Für Verbrecher ist die Einreise schon jetzt riskant. Denn die Schweiz darf seit August auf das Schengener Informationssystem SIS zugreifen. Dieses registriert Personen, gegen die ein Haftbefehl vorliegt, die mit einem Einreiseverbot belegt oder vermisst sind. Ebenso listet es Diebesgut auf.

Gut ist Schengen auch für den Fremdenverkehr. In Zukunft akzeptieren die Eidgenossen Schengenvisa, die Reisende aus Nicht-EU-Ländern von EU-Ländern erhalten haben. Und Besucher, die ihr Geld deponieren wollen, können auch künftig auf Diskretion bauen. Die Regierung stellt klar: Das Bankgeheimnis bleibt von Schengen unberührt. Ebenso legt sie Wert darauf, dass Schengen ihre eigentümlichen Traditionen nicht antastet – wie das Deponieren von Armeegewehren in den eigenen vier Wänden. So beruhigt die Regierung ihre Soldaten: „Jeder Armeeangehörige wird wie bisher auch unter Schengen seine Waffe zu Hause aufbewahren.“

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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