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Politik: Schicksale bekommen Namen

Nach Klage und vierjähriger Geheimhaltung: Das Pentagon veröffentlicht Protokolle aus Guantanamo

In der Hülle des Schweigens, die das US-amerikanische Gefangenenlager Guantanamo umschließt, klaffen neue Risse. Einer richterlichen Anordnung folgend, veröffentlichte das Pentagon am Freitagabend 5000 Seiten Protokolle aus Anhörungen auf dem US-Stützpunkt auf Kuba, die bestimmen sollten, ob es sich bei den Häftlingen um so genannte „feindliche Kämpfer“ handelt. Die müssen nach Ansicht Washingtons nicht nach den Vorschriften der Genfer Konvention für Kriegsgefangene behandelt werden. Erstmals sind in den Papieren auch die Klarnamen vieler Häftlinge enthalten.

Jamie Fellner, US-Direktor von Human Rights Watch, bezeichnete die Veröffentlichung als einen „großen Bruch“ in der Mauer der Geheimhaltung, die Guantanamo umgibt: „Er hilft uns zu verstehen, wer sich dort befindet und aus welchem Grund er festgehalten wird.“ Washington steht jedoch weiter auf dem Standpunkt, dass es die Gefangenen ohne ein Recht auf einen Prozess beliebig lange festhalten kann. Die Kritik an dieser Praxis und die Forderung, Guantanamo zu schließen, war in den vergangenen Monaten immer lauter geworden.

Zuletzt hatte ein Bericht der UN-Kommission gegen Folter im vergangenen Monat scharf kritisiert, wie das US-Militär die noch 490 Gefangenen auf Kuba behandelt. Dabei würden zum Teil die Grenzen zur Folter überschritten. Die Forderung der Kommission, das Lager zu schließen, nahm damals auch UN-Generalsekretär Kofi Annan auf. Washington besteht jedoch weiterhin darauf, dass Guantanamo die einzige Möglichkeit sei, mutmaßliche Al-Qaida-Kämpfer davon abzuhalten, gegen die USA in den Krieg zu ziehen oder weitere Anschläge zu verüben.

Die USA hatten Anfang 2002 damit begonnen, Gefangene aus ihrem Feldzug gegen die Taliban in Afghanistan auf dem Militärstützpunkt im Nordosten Kubas festzuhalten. Mittlerweile ließ das Pentagon mit Millionenaufwand sechs Hochsicherheitstrakte bauen. Nach jüngsten Berichten sucht die US-Regierung jedoch verstärkt nach Alternativen zu Guantanamo. So werde das ehemalige Zwischenlager auf der Militärbasis Basram in der Nähe von Kabul massiv erweitert. In Guantanamo soll es seit mehr als einem Jahr keine Neuaufnahmen mehr gegeben haben. Von den zwischenzeitlich mehr als 500 Gefangenen dort wurden bislang zehn eines Verbrechens angeklagt.

Das Pentagon war bis zuletzt den Anweisungen eines Richters in New York, die Protokolle und die Namen herauszurücken, nur scheibchenweise nachgekommen. Die Nachrichtenagentur AP hatte auf der Grundlage des Gesetzes zur Informationsfreiheit geklagt und Recht bekommen. Zunächst schwärzte das US-Verteidigungsministerium jedoch die Namen der Gefangenen mit der Begründung, es verletze sonst ihre Persönlichkeitsrechte. Außerdem bringe eine Veröffentlichung deren Familien in Gefahr. Richter Jed Rakoff fand die Argumente jedoch „dünn und wenig überzeugend“. Die nun in ihrer Rohfassung und im Klartext am letzten Tag der richterlichen Frist übergebenen Protokolle, die im Internet einsehbar sind, seien „extrem wichtige Informationen“, sagte Curt Goering von Amnesty International USA. „Seit das Lager geöffnet wurde, haben wir nach einer Liste der Gefangenen gefragt, sie aber nie bekommen.“ Trotzdem sind immer noch nicht alle Namen bekannt. Laut AP umfassen die Protokolle 317 Verhöre. Es ist unklar, ob die fehlenden 173 nie verhört wurden oder ob weitere Protokolle existieren.

Die Papiere erlauben laut AP auch einen aufschlussreichen Einblick in die Anhörungsverfahren. So war es zum Beispiel dem Gefangenen Feroz Ali Abbasi nicht erlaubt, Belastungsmaterial einzusehen, das seinen Status als „feindlichen Kämpfer“ belegen sollte. Abbasi, ein britischer Staatsbürger, der im vergangenen Jahr freigelassen wurde, argumentierte daraufhin, die Praxis verstoße gegen internationales Recht. Ein nicht namentlich genannter Oberst der US-Air Force, der offensichtlich die Verhandlung führte, erwiderte: „Mr. Abbasi, Ihr Verhalten ist unakzeptabel, und ich warne sie zum letzten Mal. Ich schere mich nicht um internationales Recht. Ich will die Worte ‚internationales Recht’ nicht wieder hören. Wir machen uns um das internationale Recht hier keine Sorgen.“ Dann schickte er ihn zurück in seine Zelle.

Informationen im Internet:

www.defenselink.mil/pubs/foi/

detainees/csrt/index.html

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