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Politik: „Schickt uns irgendjemanden“

Die Menschen in Kongo hoffen auf eine starke Friedenstruppe – die EU berät, ob ein Militäreinsatz möglich ist

Die Angst sitzt der Bevölkerung von Bunia im Nacken. In der Stadt patrouillieren Soldaten, bewaffnete Kinder und Jugendliche der „Union der Kongolesischen Patrioten“, eine Miliz der Minderheitenethnie der Hema. Doch in den Bergen rund um Bunia, so heißt es, sind die Milizen der gegnerischen Lendu verschanzt und warten nur auf eine Chance zum Angriff. Noch haben sich Tausende von Bürgen Bunias, die Opfer der Kämpfe zwischen den beiden Stämmen wurden, in das UN-Gelände zurückgezogen. Dort berichteten sie einer Reporterin der BBC von grausamen Übergriffen der Milizen. Die kleine Krankenstation am Rande der UN-Mission ist mit Verletzten überfüllt. Eine Frau sagt, dass sie sich geweigert habe, den Milizionären Geld zu geben. Ihre Kinder seien daraufhin vor ihren Augen ermordet worden – und sie selbst hätte man mehrfach mit der Machete geschlagen. Ein Mann läuft mit einer Bandage um den Hals herum. Man hatte versucht, ihm die Kehle durchzuschneiden. Die meisten der 350 000 Einwohner von Bunia sind inzwischen auf der Flucht.

Erstmals sind die UN in der Lage, eine offizielle Opferbilanz der ethnischen Kämpfe in der Stadt herauszugeben. Seit dem 4. Mai, seien allein in Bunia 310 Tote geborgen worden. „Wir suchen weiterhin nach Leichen“, sagte Hamadoun Touré, Pressesprecher der UN in Kongo. Dabei haben die 700 UN-Blauhelme, die in der kongolesischen Provinz Ituri stationiert wurden, selbst zwei Todesopfer zu beklagen. Einige Tage waren zwei UN-Beobachter – ein Nigerianer und ein Jordanier – in der Stadt Mongbwalu vermisst gewesen. Erst am vergangenen Sonntag gelang es einer Gruppe nach Mongbwalu vorzustoßen. Dort mussten sie feststellen, dass die beiden UN-Beobachter bereits beerdigt worden waren. Auf „bestialische Weise“, so UN-Sprecher Touré, seien die beiden ermordet worden. Es sind die ersten Morde an UN-Beobachtern in Kongo seit 1999, als die Vereinten Nationen ihre Tätigkeit aufnahmen. Wer für die Bluttaten verantwortlich ist, bleibt fraglich. Die Gegend wird von den Lendu kontrolliert, und es waren auch Lendu, die zu den Toten führten. Allerdings ist auch eine Splittergruppe der Hema-Miliz UPC dort aktiv. Wegen der prekären Sicherheitslage haben die UN-Soldaten sich mittlerweile nach Bunia zurückgezogen. In der Bevölkerung wird indes der Ruf nach einer starken Eingreiftruppe, die den Kleinkrieg der Milizen beendet, immer lauter. „Schickt uns Franzosen, Amerikaner oder Chinesen, irgendjemanden“, meinte ein junger Vater gegenüber einem Reporter der Agentur AFP im Lager der UN-Truppe. Hauptsache stark müsse die Friedenstruppe sein.

Das sicherheitspolitische Komitee der EU hat gestern darüber beraten, ob ein Militäreinsatz unter EU-Flagge in Kongo in Frage kommt. UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte gebeten, sich an einer Stabilisierungstruppe zu beteiligen. Drei Varianten zeichnen sich ab: entweder eine EU-geführte Operation, an der sich verschiedene Mitgliedstaaten mit Streitkräften beteiligen oder eine multinationale Truppe unter französischer Führung. Auch eine Verstärkung der bestehenden UN-Mission käme in Frage.

Noch haben sich nicht alle Mitgliedstaaten geäußert, ob sie einen Einsatz grundsätzlich unterstützen. Frankreich ist bereit, unter einem UN-Mandat Truppen nach Kongo zu schicken. Positiv äußerten sich dem Vernehmen nach auch Großbritannien, Schweden, Dänemark und Irland. Die ehemalige Kolonialmacht Belgien will Transportflugzeuge zur Verfügung stellen, Soldaten kann sie nicht entsenden. Der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt traf außerdem gestern mit Kommissionspräsident Prodi zusammen, um über Hilfsmöglichkeiten zu beraten. Ein großer Teil der EU-Staaten steht einem Einsatz grundsätzlich skeptisch gegenüber. Auch Deutschland will keine Truppen nach Kongo entsenden und betrachtet einen Einsatz in Afrika im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) grundsätzlich kritisch. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) befürwortet die finanzielle Unterstützung. Die EU-Militärs halten einen Einsatz in Kongo für nicht machbar. Der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, hofft trotzdem, die Schlagkraft der ESVP durch einen Kongoeinsatz beweisen zu können. Er bemüht sich darum, Dauer und Umfang eines solchen Militäreinsatzes zusammen mit den Vereinten Nationen einzugrenzen. Es scheint an eine EU-Operation gedacht zu werden, die auf wenige Monate begrenzt ist und durch eine langfristige UN-Operation unter der Führung von Bangladesh abgelöst wird.

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