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Politik: Schiff der Toten

Vermutlich mehr als 80 Flüchtlinge sterben vor Italiens Küste

Bruno Siracusa wollte am Sonntagabend zeitig zu Bett gehen. Doch dann läutete das Telefon, und das konnte nur eines bedeuten: Etwas Schlimmes musste passiert sein. Schließlich ruft man beim Bürgermeister von Lampedusa nicht spätabends ohne einen triftigen Grund an. Am anderen Ende der Telefonleitung sprach ein Beamter der Küstenwache. Er berichtete von einem Flüchtlingsschiff und von vielen Toten. Siracusa kleidete sich an und eilte in den Hafen der kleinen Insel Lampedusa. Was er dort zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache.

Die Radarstation der Küstenwache war in der spätabendlichen Dunkelheit auf ein Boot aufmerksam geworden. Kein großes Schiff, nur zirka zehn Meter lang. Es wurde von Sturmwellen hin und her getrieben, und die Fregatte der Küstenwache fuhr sofort auf das Meer hinaus, um das Boot zu bergen. An Bord befanden sich Menschen aus Somalia. Abgemagert und ausgehungert. Nicht sofort wurde den Beamten klar, dass einige der Flüchtlinge an Bord nicht schliefen. Erst als das Boot im Hafen von Lampedusa in Sicherheit gebracht worden war, erkannten sie das ganze Ausmaß des Dramas.

An Bord des Flüchtlingsboots befanden sich 13 Tote – Somalier, die während der gefährlichen Überfahrt gestorben waren. Überlebende berichteten, auf dem Boot seien ursprünglich etwa 100 Menschen gewesen. Die Küstenwache konnte jedoch nur etwa 15 völlig erschöpfte und ausgemergelte Menschen an Bord retten. Mehr als 70 Tote wurden demnach schon vorher über Bord geworfen. Die Polizei geht davon aus, dass die somalischen Flüchtlinge bereits an der tunesischen Küste, wo sie von ihren Schleppern auf die Fahrt nach Italien geschickt wurden, unterernährt und körperlich geschwächt waren. Nur so erklärt es sich, dass so viele der Bootsinsassen die Überfahrt nicht überlebten.

Die Situation auf Lampedusa wird immer dramatischer. Obwohl das römische Innenministerium angibt, dass die Zahl der Flüchtlinge in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gesunken sei, sind die Auffanglager auf Lampedusa und im übrigen Süditalien überfüllt. Der Friedhof auf der kleinen Insel zwischen dem italienischen Festland und Tunesien kann die vielen Toten nicht mehr aufnehmen, die, so Siracusa, „jeden zweiten Tag an unsere Strände gespült werden”. Allein im Juni starben rund 160 Menschen bei der Überfahrt nach Lampedusa.

Die Flüchtlingsmafia, so die italienische Polizei, operiert von fünf tunesischen Häfen aus. Die meisten Menschen werden von Port al-Kantaoui aus Richtung Italien verschifft. Obwohl die Regierung in Rom erst vor kurzem mit Tunesien ein Abkommen zur bilateralen Bekämpfung der Schleppermafia unterzeichnet hat, nimmt der illegale Bootsverkehr nicht ab. „Wir sind ratlos”, so Bruno Siracusa, „denn unsere kleine Insel kann doch diese vielen Menschen gar nicht aufnehmen”.

EU für gemeinsame Abschiebung

La Baule (AP). Im Kampf gegen die illegale Einwanderung haben die fünf größten EU-Staaten einen besseren Informationsaustausch vereinbart. Die Chefs der Grenzpolizeien von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien sollen sich künftig vierteljährlich treffen, beschlossen die Innenminister dieser Länder im französischen La Baule. Künftig wollen die vier Länder nach Angaben des französischen Ressortchefs Nicolas Sarkozy auch gemeinsam Flüge zur Abschiebung von Ausländern ohne Aufenthaltsgenehmigung organisieren.

Thomas Migge[Rom]

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