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Politik: Schily und Thierse streiten über Gedenken an Vertreibung

Innenminister stellt sich hinter Pläne des Vertriebenenbundes, der Bundestagspräsident fordert eine internationale Lösung

Berlin. Um das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen gibt es Streit – vor allem in der SPD. Innenminister Otto Schily unterstützt den Plan des Bundes der Vertriebenen (BdV), das Zentrum in Berlin zu bauen. Die im Jahr 2000 gegründete „Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen“ unter dem Vorsitz der BdV-Präsidentin Erika Steinbach und des früheren SPD-Geschäftsführers Peter Glotz hat bereits 400 Städte und Gemeinden als Paten und Sponsoren gewonnen.

Dagegen haben Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) und 71 hochrangige Politiker und Intellektuelle aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Deutschland nun einen Aufruf des SPD-Abgeordneten Markus Meckel unterzeichnet: Es solle kein nationales Zentrum, sondern eine europäische Gedenkstätte gebaut werden. „Die Vertriebenen dürfen kein Monopol auf die Darstellung der Vertreibung haben“, sagte Meckel dem Tagesspiegel. „70 Millionen Menschen sind in Europa in den letzten Jahrzehnten vertrieben worden, das Zentrum muss die europäische Geschichte der Vertreibungen zeigen.“

Steinbach und Glotz weisen den Vorwurf zurück, sie planten ein „nationales Projekt“. Es sei ihnen von Anfang an darum gegangen, „auch das Vertreibungselend der Menschen anderer Nationalität deutlich zu machen“. Die eigene Vertreibungsgeschichte aufzuarbeiten halte sie aber für ein ebenso „legitimes Bedürfnis“, unterstrich Steinbach. Meckels Aufruf sei „ein Versuch, unsere Stiftung an den Rand zu drängen“. Beide Lager sind davon überzeugt, nur ihr Ansatz diene der europäischen Versöhnung. Meckel kritisiert, das Schily/Steinbach-Projekt irritiere die Nachbarstaaten im Osten. Er bringt deshalb Breslau als Standort ins Gespräch; aus Breslau seien Deutsche vertrieben und nach Breslau Polen zwangsumgesiedelt worden. Glotz erwidert, für Breslau werde Meckel „in Polen keine Mehrheit finden“.

Schily hatte bei einem Treffen am 20. Mai dafür geworben, eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Regierung, Parlamentsfraktionen und der Stiftung einzusetzen, die einen Standort für das Zentrum in Berlin finden und das Projekt forcieren sollte. Sein Vorstoß wurde aber von der SPD- und der Grünen-Fraktion gebremst. Die Arbeitsgruppe hat sich bis heute nicht konstituiert. Auch die Zuständigkeit für das Zentrum auf Bundesebene scheint noch ungeklärt. So betonen das Innenministerium und Kulturstaatsministerin Christina Weiss, die jeweils andere Behörde sei federführend. Meckel und seine Unterstützer wünschen sich derweil, dass die Präsidenten Polens, der Slowakei, Tschechiens, Ungarns, Bosniens und Deutschlands eine internationale Historikerkommission berufen, die ein Konzept für ein europäisches Zentrum erarbeiten und einen Standort suchen solle. Glotz ist gegen ein internationales Verfahren, „weil das ewig dauern würde“. Er besteht allerdings nicht auf Berlin als Standort. Es könne auch München sein.

Markus Feldenkirchen[Christoph von Marschall]

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