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Schlacht und Macht: Ägypten: Ende eines Traumes

Sie ritten direkt in die Menge hinein und prügelten mit Stöcken und Eisenstangen auf die Köpfe der Demonstranten ein. Sie sind Anhänger Mubaraks – oder bezahlte Schläger. Und sie verbreiten Angst.

Es ist schon spät am Abend, als der staatliche ägyptische Fernsehsender die Demonstranten in Kairo eindringlich warnt. Sie sollen den Tahrir-Platz verlassen. Noch immer sind Menschen unterwegs, nach einem langen Tag, einem gewalttätigen Tag. Von mehr als 600 Verletzten ist am Abend die Rede – und von mindestens einem Toten.

Der Traum von der friedlichen Revolution in Ägypten, seit diesem Mittwoch ist er vorbei.

„Die sind wie die Tiere“, sagte noch am Mittag weinend eine junge Frau im Fernsehsender Al Dschasira. Eine von den Millionen Demonstranten, denn so viele waren es geworden, mit jedem Tag der Herrscherdämmerung kamen mehr und mehr, trafen sich auf dem Tahrir-Platz, auch, um die Euphorie mitzuerleben.

Bis Mittwoch war das so. Um 13 Uhr 16 MEZ dann gingen die Eilmeldungen um die Welt: gewalttätige Zusammenstöße zwischen Gegnern und Anhängern von Hosni Mubarak.

Mit Messern, Knüppeln und Steinen gingen die Anhänger des greisen, kranken ägyptischen Präsidenten auf die friedlichen Demonstranten los, bis in den späten Abend waren in der Innenstadt Schüsse zu hören. Von Hausdächern warfen Einige Steine auf die Menschen. Andere versuchten, das Ägyptische Museum, das auch am Tahrir-Platz liegt, mit Molotowcocktails in Brand zu stecken.

Augenzeugen berichteten von Lastwagen, mit denen die Bewaffneten herantransportiert worden seien, davon, dass die Fahrer dieser Lastwagen Polizeiuniformen getragen hätten oder die der Staatssicherheit. Andere Pro-Mubarak-Demonstranten waren zu Fuß unterwegs, Parolen wie „Ja zu Mubarak, er sorgt für Stabilität“ und „Ja zu dem Präsident des Friedens“ rufend, waren sie in Richtung Stadtzentrum gezogen. Wieder andere erschienen mit Kamelen, Pferden, sie ritten direkt in die Menge hinein und prügelten von oben, aus dem Sattel, mit Knüppeln auf die Köpfe der anderen ein.

Mehr als 4000 Gegendemonstranten sollen es gewesen sein, Anhänger von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei (NDP). Der Tahrir-Platz und die vielen Seitenstraßen, in denen eben noch vom Wandel geträumt und gesungen wurde, waren plötzlich voller gewaltbereiter, bewaffneter Männer. Stundenlang zogen sich heftige Schlägereien hin, im Steinhagel schützten sich die Menschen, indem sie sich Pullover um den Kopf banden und Metallzäune aus einer nahen Baustelle als Schutzschilde verwendeten. Menschen fielen hin, blutend, schrieen und weinten, unaufhörlich flogen Steine über den Platz, manche Demonstranten versuchten, sich in das Ägyptische Museum zu retten.

Ein neuer Bürgersinn entstand, man teilte Brot und Orangen

Das Komitee der Protestbewegung meldete sich und teilte mit, viele der Schläger seien Polizisten in Zivil und damit jene, die in den drei Jahrzehnten des Regimes Mubarak für Misshandlung und Folter in den Gefängnissen verantwortlich gewesen seien. Das staatliche ägyptische Fernsehen meldete sich dagegen zunächst nicht vom Tahrir-Platz.

Die Armee, um deren Panzer herum sich die Schlägereien abspielten und deren Fahrzeuge ebenfalls von Steinen getroffen wurden, schaute zu, ohne einzugreifen. Wenige Stunden vor dem Massenüberfall hatte die Armee die Demonstranten über die Lautsprecheranlage des Platzes eindringlich vor Gewalt gewarnt und sie aufgefordert, nach Hause zu gehen. Manchmal zogen Soldaten einzelne Personen aus der Schlacht vor ihrem Panzer, dann, wenn es so aussah, als werde da einer totgeschlagen. Später versuchten sie, die gegnerischen Parteien durch eine Lastwagenbarrikade voneinander zu trennen. Über dem Platz kreisten Hubschrauber.

Es war die Schlacht um ein Symbol. Wer den Tahrir-Platz in seiner Kontrolle hat, dem gehört die Zukunft Ägyptens. So empfinden es viele Ägypter offenbar. Jene, die ausharren, um Mubarak unter ihrem Protest stürzen zu sehen. Und jene, die den Platz nun ebenfalls in Besitz nehmen wollten, aber zunächst nicht durchkamen. Am späten Nachmittag standen sich zwei beinahe gleich große Menschenmengen gegenüber.

Es kam auch zu mehreren Übergriffen auf ausländische Journalisten. Die werden von den Mubarak-Anhängern beschuldigt, mit ihren Berichten den Aufstand angestachelt zu haben. Auch der Fernsehsender Al Dschasira war bereits am Montag verboten worden, seine sechs Mitarbeiter wurden vorübergehend verhaftet.

Am Dienstag war es auch in Alexandria zu vereinzelten Auseinandersetzungen zwischen Mubarak-Unterstützern und Mubarak-Gegnern gekommen, Fernsehbilder zeigten, wie die Besatzung eines in der Nähe stehenden M-1-Abrams-Panzers mit seinem Kettenfahrzeug hilflos auf und ab fuhr, Warnschüsse in die Luft feuerte und dann die friedlichenProtestierer aufforderte, hinter dem Panzer Schutz zu suchen.

Immer wieder ist die Rede von den bezahlten Schlägern, die das Regime seinen Gegnern auf den Hals hetze. Am Wochenende war die gesamte Polizei von den Straßen geholt worden, stattdessen habe man zivile Schläger losgeschickt, die Bürger ängstigen sollten. Ein von dem inzwischen untergetauchten Innenminister Habib al Adli unterzeichnetes Geheimpapier belegt das. Als „hoch geheim“ klassifiziert, ein Strategiepapier „gegen einen Volksaufstand“, doch die Opposition hatte es bekommen. Hatte es in einer geplünderten Polizeistation gefunden. Laut diesem Papier sollte die Polizei der zu erwartenden Übermacht der Demonstranten zunächst Widerstand leisten, sich dann total zurückziehen und Regierungsschlägern in Zivil das Feld überlassen. Gleichzeitig sollten über die Medien Berichte gestreut werden über Plünderungen und Vandalismus.

Seit dem Wochenende waren die Abende und Nächte in Kairo nicht mehr Zeit für entspannte Einkaufsbummel oder Brettspiele im Teehaus. Mit Einbruch der Dunkelheit verwandelten sich Kairos Straßen. Wurden gespenstisch und ungemütlich. An Straßenecken brannten offene Feuer, froren Männer mit Pistolen, Peitschen und Holzprügeln. Oder Säbeln aus der Königszeit oder sogar Golfschlägern. Sie waren Teil der spontan gebildeten Bürgerwehren für Sicherheit in den Wohnvierteln.

Auch das gehörte zum Geist der ägyptischen Revolutionstage: der plötzlich allgegenwärtige Bürgersinn. Freiwillige Helfer kontrollierten die Mitdemonstranten auf Waffen, andere sammelten den Müll zusammen, wieder andere verteilten Brot und Orangen. „Wir lieben unser Land, das ist unser Land“, sagen sie. Und vielleicht sind es auch dieser Geist, diese Selbstermächtigung, auf die die Gewalt vom Mittwoch zielte.

„Chaos oder Mubarak – das wollen sie dem Volk weismachen. Und dafür nehmen sie uns alle als Geiseln“, schimpfen die Menschen in Kairos Straßen. Aber sie wollen das Spiel nicht mehr mitspielen.

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