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An die Gurgel gehen sie sich nicht. Angela Merkel und Peer Steinbrück im Bundestag bei ihrem ersten Rededuell nach Eröffnung des Wahlkampfs.

© dpa

Schlagabtausch bei Bundestagsdebatte: Merkel und Steinbrück zum ersten Mal im Ring

Ist das jetzt der Auftakt für ein spannendes Wahlkampfduell? Im Bundestag nutzt Herausforderer Peer Steinbrück eine Europa-Debatte für den ersten Schlagabtausch mit der Kanzlerin. Die fühlt sich nicht wohl dabei, doch für ihn ist das auch kein Selbstläufer.

Von
  • Hans Monath
  • Robert Birnbaum

Das ist Angela Merkel auch lange nicht passiert, dass sie sich beim nervösen Füßescharren ertappen lässt. Dabei scheint auf den ersten Blick wenig Anlass dazu an diesem Donnerstag unter der Reichstagskuppel.

Gut, der Unionsfraktionschef Volker Kauder ruckt besonders energisch seine Anzugärmel zurecht, als er am Morgen die Reihen seiner Abgeordneten mustert – ausgesprochen gut gefüllte Reihen bis weit in die hinteren Bänke. Sicher, auch die Opposition ist überdurchschnittlich anwesend, nicht zu reden von den drei Herren in der ersten SPD-Bank, die sehr cool dreinblicken. Aber Regierungserklärungen vor Europagipfeln hat die Kanzlerin in den letzten Jahren nun wirklich im Dutzend gehalten. Und trotzdem greift sie ihre Redenmappe und ist schon halb auf dem Sprung zum Rednerpult, als sie erst merkt, dass der Bundestagspräsident mit der Aufzählung der Tagesordnung noch gar nicht fertig ist. Merkel setzt sich wieder hin. Ertappt. Dies ist eben doch kein Tag wie jeder andere.

Schuld daran ist der mittlere der drei sozialdemokratischen Herren. Seit fast drei Wochen ist Peer Steinbrück der Kanzlerkandidat der SPD. Heute wird er zum ersten Mal am Rednerpult gegen die Frau antreten, der er die Macht streitig machen will. Wenn Steinbrück ebenfalls ein wenig nervös ist, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken. Der Auftritt ist aber auch für ihn kein Selbstläufer. Man hat ja gerade in den USA gesehen, was so ein Polit-Duell auslösen kann, wenn man es nicht richtig ernst nimmt. Schließlich, die SPD erwartet sich vom Kandidaten Kampfesmut. Er wird sie, das schon mal voraus geschickt, nicht enttäuschen.

Aber erst ist ja die Kanzlerin an der Reihe, und wenn wir schon beim Vorausschicken sind: Der bekommt die Konkurrenzsituation auch nicht schlecht. Normalerweise erinnern Merkels Euro-Krisenreden stark an universitäre Oberseminare. Aber im Kanzler-Redenschreibbüro haben sie wahrscheinlich seit drei Wochen Steinbrücks gesammelte Interviews studiert, besonders die Passagen, wo er der Regierungschefin früher immer vorgehalten hat, sie habe keine positive „Erzählung“ über Europa. So leicht, werden sie sich gedacht haben, machen wir es ihm nicht. Schon gar nicht nach der Steilvorlage aus Oslo, dem Friedensnobelpreis für das vereinte Europa!

Und so erlebt der deutsche Bundestag an diesem Vormittag eine Angela Merkel mit ganz ungewöhnlich hohem Pathos- Faktor. Von der „größten Bewährungsprobe, die wir Europäer zu bestehen haben“ spricht sie, schwärmt von der „wunderbaren Entscheidung“ des Nobelkomitees, preist dessen Weisheit, Europa nicht in den Jahren der Glücksmomente wie dem Fall der Mauer auszuzeichnen, sondern in der Krise. Das sei Mahnung, Anspruch und Verpflichtung, „das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen“.

Hier finden Sie den Live-Ticker zur Debatte zum Nachlesen

Man darf diesen Satz getrost als vorweggenommene Antwort auf das lesen, was im Lauf dieser Debatte noch alles zu hören sein wird an Kritik an ihrer Euro-Politik: Mögen andere meckern, heißt er im Klartext, die Kanzlerin weiß schon was Not tut. Und die Sozialdemokraten – ach, eigentlich wissen sie es doch auch: „An entscheidenden Stellen haben wir uns immer wieder zusammen gerauft“, flötet Merkel, „und dafür möchte ich Danke sagen!“

Sie nickt den drei Herren in der ersten sozialdemokratischen Bank zu. Die drei Herren legen auf den Dank erkennbar keinen Wert. Muss die unbedingt daran erinnern, dass die SPD jeden einzelnen Merkelschen Eurorettungsschritt mitgegangen ist? Ein Umstand, um den doch Peer Steinbrück nachher einen ziemlich eleganten Bogen schlagen wird? Und was soll dieser betont geschäftsmäßige Ton in Merkels Stimme, als sie berichtet, dass jetzt elf Staaten für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gewonnen werden konnten: „Das ist eine gute Nachricht!“ Jürgen Trittin schlägt höhnisch die Hände aufeinander, Frank-Walter Steinmeier klatscht mit.

Das war mal eine rote und grüne Idee, mit der konnten sie die Regierung komfortabel ärgern. Jetzt ist es Merkels Realität. Demnächst, sie kündigt es an, könnte ein europäischer Wachstumsfonds ihre Realität sein. Das ist das Schicksal der Opposition: In diesem Spiel von Hase und Igel ist Merkel am Ende immer schon da.

Sigmar Gabriel versucht trotzdem schneller zu sein: „Merkel redet über die Zukunft Europas in einem Technokratenkauderwelsch, bei dem kein Mensch mehr weiß, wohin die Reise eigentlich gehen soll“, twittert der SPD-Chef aus dem Reichstag heraus. Aber so technokratenkauderwelschig, wie sie sonst durchaus sein kann, ist Merkel diesmal gerade nicht. Dass sie sich zum Beispiel sehr klar hinter die jüngsten Ideen Wolfgang Schäubles stellen wird, hätten nicht mal ihre eigenen Leute vorher gedacht: Das gehe ja nun auch nicht, dass gleich wieder alle „Das geht nicht!“ schrieen, kaum habe jemand einen fortschrittlichen Vorschlag gemacht wie ein Haushalts-Vetorecht für den EU-Währungskommissar. „Mit dem, was alles nicht geht, kommen wir in Europa nicht voran!“, schimpft Merkel. Dass es ausgerechnet die eigenen Koalitionsfreunde sind, die von der CSU und von der FDP, die am lautesten über Schäuble schimpfen, sagt sie natürlich nicht dazu. Das wäre ja hier auch der falsche Moment, hier, wo, um mit Gregor Gysi zu sprechen, „heute der Wahlkampf begonnen hat“.

Der beginnt gut für die Sozialdemokraten, wenn man sich anschaut, was sich tut in deren Reihen. Nicht genug, dass fast ein Dutzend weibliche Abgeordnete heute in knallroten Blazern erschienen sind, als ob sie demonstrieren wollten, dass die SPD wieder Farbe bekennt. Viel entscheidender ist die Wirkung, die Peer Steinbrück mit seinem Auftritt gelingt.

Ununterscheidbar zu sein, das ist es, worunter die Oppositionspartei in den vergangenen Monaten am meisten gelitten hat. Steinbrück aber schafft es, sich und die SPD scharf abzugrenzen. Zögerlichkeit und Unehrlichkeit wirft er Merkel vor, die mit zunehmend verschlossenem Gesicht auf ihrem Platz ganz rechts auf der Regierungsbank sitzt. „Sagen Sie es endlich, sagen Sie es endlich den Deutschen“, donnert der Kandidat in den Saal und meint damit, dass der Steuerzahler wieder werde bluten müsse für die Stabilisierung der Krisenländer.

Steinbrück betont den Gedanken der sozialen Fairness

Da klatschen nicht nur die Sozialdemokraten und viele Grüne, da schauen auch etliche jener Politiker auf der Regierungsbank auf, die zuvor noch demonstrativ auf ihren iPads gescrollt oder in Akten gelesen haben. Der Angriff des Herausforderers gilt hauptsächlich Merkels Politik in der Vergangenheit: Zu spät, zu unentschieden. Da schafft Steinbrück jenen großen Abstand zur Amtsinhaberin, nach der sich seine eigene Truppe sehnt. Ein großes Gegenbild zu ihrem präsidialen Schutzversprechen für Europa aufzubauen gelingt ihm nur in Ansätzen – mehr als Merkel betont er den Gedanken des Ausgleichs und der sozialen Fairness.

Das immerhin ist sozialdemokratischer Sound. Die SPD-Fraktion aber begeistert sich vor allem daran, dass da einer Merkel rhetorisch in den Schatten stellt und dabei ein fast unverschämtes Selbstbewusstsein an den Tag legt. Schon nach drei Minuten stellt der Redner locker das Spielbein nach hinten, während er Attacken gegen die „Frau Bundeskanzlerin“ fährt, die nur zwei Meter neben ihm sitzt. „Wo“, fragt Steinbrück die Kanzlerin und meint ihre Vertrauenserklärung für Griechenland, „war Ihr zweites Fukushima, das Sie zu einer 180- Grad-Wende in Europa und unter den Baum der Erkenntnis von Herrn Schäuble gebracht hat?“ Die Atomwende nach Fukushima – sie ist die Chiffre für mangelnde Linie der Kanzlerin, mit der sich ja auch viele in ihrer eigenen Koalition schwer tun.

Nur einmal überreißt es der Redner, und das spürt er wohl selbst. Mit empörtem Raunen reagiert das Regierungslager, als der Herausforderer vor einer „Brüningschen Sparpolitik“ warnt – der Reichskanzler beschleunigte mit seiner Austeritätspolitik das Ende der Weimarer Republik.

Aber streitlustig ist der Kandidat, und schlagfertig auch. „Werden Sie nicht nervös“, ruft er FDP-Chef Rainer Brüderle zu, als der ihn mit Zwischenrufen zu seinen Nebeneinkünften aus der Ruhe zu bringen versucht. „Das war ja eine ganz luzide Einlassung von Ihnen mit Blick auf meine Honorarverträge, damit hatte ich nicht gerechnet“, meint er sarkastisch und geht sofort zum Gegenangriff über: Zu mehr Transparenz sei ausgerechnet die Koalition doch gar nicht bereit!

Die Koalition grummelt unwillig. Brüderle wird später dem SPD-Kandidaten wüste Vorhaltungen machen, gegen „Zinssozialismus mit Eurobonds“ wettern, gleich noch den Grünen Jürgen Trittin einen verkappten Maoisten schimpfen und seine Suada in einem Satz enden lassen, dessen Knalleffekt leider seiner Pfälzer Mundart zum Opfer fällt: „Steinbrück kann alles und nissiwrr“ brüderlet es aus den Lautsprechern. Erst wenn man das Protokoll zu Rate zieht, entpuppt sich das Schlusswort als „und nix is klar“.

Da hat er sogar recht, nur anders als er meint. Brüderle ist der einzige an diesem Tag, der sich als ganz schlichter Wahlkampf-Redeschlächter gebärdet. Merkel denkt gar nicht daran, verbale Metzgermesser auszupacken. Steinbrück kann Kavallerie. Aber tatsächlich ist auch der SPD bewusst, dass die Europapolitik kaum das Feld ist, auf dem sie Merkel im Wahlkampf in die Enge treiben können. „Wenn wir tatsächlich mit dem Plädoyer für gemeinschaftliche Haftung in den Bundestagswahlkampf gehen“, sagt ein Abgeordneter, „brauchen wir gar nicht erst anzutreten.“

Steinbrück selbst hat ja am Dienstag vor der eigenen Fraktion für einen „Wahlkampf der Differenz“ vor allem mit innenpolitischen Themen plädiert. Womit sich die Frage, wer das Duell gewonnen hat, fast von selbst beantwortet: Beide, also keiner. Weil es im Ernst, also richtig im Ernst noch gar kein Duell gewesen ist. Es fehlt dafür schließlich – da hat der Linke Gysi einfach schon wieder Recht – die „wirkliche, knallharte Alternative“.

Hier finden Sie den Live-Ticker zur Debatte zum Nachlesen

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