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© dpa

Schleswig-Holstein: Eine Männerfeindschaft zerstört die Koalition

Der brave CDU-Landesvater Carstensen und der krawallige SPD-Landeschef Stegner konnten nie miteinander. An ihrem Konflikt scheiterte das schwarz-rote Bündnis an der Förde.

Ralf Stegner gilt nicht nur in der schleswig-holsteinischen CDU seit Langem als Buhmann. Der überaus selbstbewusste SPD-Landesvorsitzende habe die Aura eines "Kotzbrockens", sagte erst kürzlich Manfred Güllner. Der Chef des Umfrageinstituts Forsa, das bekannt ist für seine SPD-kritischen Zahlen und Zitate, riet der Landespartei, ihren Chef so gut wie möglich zu verstecken: "Jeder weiß, dass er unsympathisch wirkt und der ungeeignetste Kandidat ist, den man einem Ministerpräsidenten Carstensen entgegen stellen kann", sagte Güllner.

Auch innerhalb der SPD sind nicht alle gut auf Stegner zu sprechen. Ein Spitzen-Genosse aus Schleswig-Holstein sagte ZEIT ONLINE, man werde "wohl oder übel" mit Stegner als Spitzenkandidat in die vorzeitige Neuwahl ziehen müssen, die trotz der Weigerung der Sozialdemokraten wahrscheinlich unausweichlich ist. Man werde ihn nicht infrage stellen, weil die Zeit bis zum nun wahrscheinlichen Termin im September dafür viel zu kurz sei. Das klingt weder loyal noch euphorisch. Es zeigt: Stegner hat sich als Parteichef etliche Feinde gemacht, auch in den eigenen Reihen. Er selbst musste sich schon ein ums andere Mal für seine "kommunikativen Fehler" oder ein ungestümes "Vorpreschen" entschuldigen.

Auch manchen Genossen erzürnt, dass Stegner regelmäßig – und ohne parteiinterne Absprache – mühsam errungene Kompromisse der Großen Koalition in Kiel wieder infrage gestellt hatte. Mal ging es um Beamtengehälter, mal um Kita-Gebühren, mal um Schulbusse, zuletzt um die Millionenboni für den Chef der arg angeschlagenen Landesbank HSH, Dirk Jens Nonnenmacher, von denen Stegner nichts gewusst haben will. Jedes Mal aber, so schien es, ging es ihm auch um den Konflikt als solchen und seine eigene Profiliierung.

In der Landes-CDU gilt Stegner, den Carstensen 2007 im Streit als damaligen Innenminister aus dem Kabinett gedrängt hatte, als Unperson. Auf CDU-Parteitagen gab es stets den größten Applaus, wenn die Redner Carstensens Widersacher als Störenfried und Krawallmichel beschimpften. Das wiederum schweißte die SPD zwar bislang hinter ihrem Vorsitzenden zusammen. Allerdings nervte Stegners Strategie des permanenten Stichelns, des kalkulierten Konflikts insgeheim auch viele in der SPD. Manche in seiner eigenen Partei sagen: Er sei "nur auf persönliche Profilierung bedacht".

Eigentlich sah Stegners Zeitplan anders aus. Er wollte im kommenden Mai beim regulären Wahltermin gegen Carstensen antreten. Das Kalkül dahinter: Wenn nach der Bundestagswahl Schwarz-Gelb in Berlin regieren sollte und bald darauf die Arbeitslosenzahlen wie erwartet deutlich steigen sollten, hätte sich bis dahin einiger Frust bei den Wählern anstauen können. Die Wahl im Norden hätte dann die erste werden können, bei der CDU und FDP abgestraft würden. Ein Vorteil für die SPD, den auch Carstensen befürchten musste, der sich bei einer vorzeitigen Wahl am 27. September Auftrieb durch die gleichzeitige Bundestagswahl erhofft.

Aus Stegners Plänen wird nun wohl nichts. Auch die Kieler SPD stellt sich darauf ein, dass im September auch im Land gewählt wird. Zwar hat sie vor, Carstensen bei einer möglichen Vertrauensfrage als einzige Partei nicht das Misstrauen auszusprechen; sollten das aber die übrigen Parteien im Landtag tun, wonach es aussieht, führt an einer Neuwahl kein Weg vorbei. Eine paradoxe Situation: Die SPD wäre dann formal die einzige Partei, die für den Verbleib des Landesvaters im Amt votiert. Dabei hält sie Carstensen in Wahrheit für einfältig und überfordert.

Dass Carstensen nun gute Chancen hat, künftig mit seinem Wunschkoalitionspartner FDP zu regieren, ärgert die Genossen am meisten. Schließlich ist Carstensen selbst in seiner eigenen Partei nicht unumstritten. Ein paar Mal sah es in den vergangenen Jahren schon so aus, als stünde seine Ablösung unmittelbar bevor. Die Krise der HSH Nordbank, die hohen Schulden, die Verwaltungsreform – all das fordert einen cleveren Krisenmanager. Carstensen, der Diplom-Agraringenieur, wirkte in Krisenzeiten zuletzt eher so, als wünsche er sich sehnlichst zurück auf seinen Bauernhof.

Nur in einem Punkt war Carstensen stur und strikt: in seiner innigen Abneigung gegenüber Stegner. Mehrfach schon drohte er mit dem gestern nun vollzogenen Koalitionsbruch. Er fühlte sich von Stegner brüskiert und beleidigt, er hält ihn für einen irrlichternden Populisten, der gekonnt seine Regierungsära diskreditiert. Auch seiner Scheidungserklärung ist in der Wortwahl die persönliche Verletztheit anzumerken. Wenn man das Gefühl habe, dass es "keine Verantwortungsgemeinschaft in der Koalition" gibt, müsse man die Konsequenzen ziehen. Gemeint war Stegner, den er persönlich für das politische Zerwürfnis der beiden Parteien verantwortlich machte.

Zu einer Feindschaft gehören allerdings immer zwei. Wäre Carstensen dickfelliger, auch erfahrener als Regierungschef, vermutlich hätte er Stegners Dauerfeuer gelassener hingenommen. Aber der studierte Landwirt ist ein emotionaler, leicht beleidigter Mensch, das sagen selbst seine Anhänger. Nach vier Jahren Dauer-Krawall in dem von beiden Seiten ungeliebten Bündnis hatte er nun einfach genug.

In Kiel gilt es als ausgemacht, dass die Koalition in erster Linie dieses Männerfehde zerbrochen ist, nicht aus inhaltlichen Gründen. Selbst gestern konnten sich die beiden Parteien noch auf einen Nachtragshaushalt einigen. Unüberwindbar waren die Gräben zwischen CDU und SPD also nicht, wohl aber zwischen Carstensen und Stegner. 

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Schlieben

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