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Schleswig-Holstein: Verleumdung hat Tradition

Politische Verleumdung hat in Schleswig-Holstein eine gewisse Tradition – hier spielte sich vor gut 20 Jahren der Barschel-Skandal ab.

Die Landespolitik in Schleswig-Holstein ist reich an Skandalen und Affären. Das jüngste Kapitel dieser Art hat sich in den vergangenen Tagen in Kiel abgespielt. Anke Spoorendonk vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) bezeichnet den Bruch der großen Koalition und den darauf folgenden Weg zu Neuwahlen als einen „Verfall politischer Kultur“. Sie geht sogar noch weiter und attestiert dem Bundesland, es stünde mittlerweile als „Synonym für das unsaubere Miteinander von CDU- und SPD-Politikern“.

Eigentlich fängt diese spezielle Ausprägung von Landespolitik mit einer eher laschen Entnazifizierung unter britischer Regie an. So kommt es, dass sich etliche Altnazis nicht nur im öffentlichen Dienst halten können, sondern auch Platz im erzkonservativen Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) finden, der von 1950 an mehrere Wahlperioden mit der CDU regiert. Die CDU überwirft sich im nördlichsten Bundesland kurz vor ihrer Gründung mit allen liberalen Kräften. So wundert es nicht, dass auch die CDU Platz für ehemalige NS-Verantwortliche hat. Die markanteste Figur ist Helmut Lemke, der als NSDAP-Mitglied Bürgermeister von Eckernförde und Schleswig war und über den Posten des Innenministers und des stellvertretenden Ministerpräsidenten schließlich von 1963 bis 1971 zum Regierungschef im Kieler Kabinett aufsteigt. Noch bis 1983 bleibt er Landtagspräsident. Der NS-Widerstandskämpfer und frühere SSW-Spitzenmann Karl Otto Meyer attestiert Lemke immerhin, in der Nachkriegszeit einen glaubhaften demokratischen Wandel vollzogen zu haben.

Die SPD auf der anderen Seite zeichnet sich zunächst durch einen stark gewerkschaftlich geprägten Flügel aus, der aber im Zuge der „68er-Bewegung“ zurückgedrängt wird. Unter Jochen Steffen übernehmen bei den Genossen Kräfte mit Sympathien bis tief hinein in die marxistische Lehre die Wortführerschaft. Auf den damals erworbenen Ruf, der linkeste Landesverband zu sein, bildet man sich zwar etwas ein, spielt aber innerparteilich auf Bundesebene keine Rolle. Die Personalie Lemke – immerhin ein schwarzer Fleck auf der CDU-Weste – wird unter Steffens Vorgänger Wilhelm Käber nie richtig zum politischen Angriff genutzt. Das ändert sich unter dem „roten Jochen“, der Lemke fortan als „Goldfasan“ bezeichnet (im Nationalsozialismus war das eine Spottbezeichnung für einen NS-Amtsträger). Steffen sammelt Ordnungsrufe wie Trophäen. 1967 scheitert er als Herausforderer an Lemke. 1971 wagt Steffen einen neuen Anlauf auf das höchste Amt im Land. Diesmal ist Gerhard Stoltenberg sein CDU-Gegenkandidat. Der temperamentvolle Sozi und der kühle Analytiker der Union liefern sich einen mit aller Schärfe geführten Wahlkampf, wie ihn das Land zuvor noch nie erlebt hat. Die SPD kassiert eine Niederlage und bleibt weitere 17 Jahre in der Opposition. Nach 38 Jahren in der Regierung verliert die CDU ihre erste Wahl nach der Affäre um Uwe Barschel. 1987 versucht Barschel seinen SPD-Gegenspieler Björn Engholm mit Hilfe des Privatdetektivs Reiner Pfeiffer im Wahlkampf zu diskreditieren – es war einer der größten politischen Skandale im Nachkriegsdeutschland. Barschel beteuerte damals in seiner berühmten Ehrenwort-Pressekonferenz seine Unschuld. Wenige Tage später wurde er tot in einer Badewanne in einem Genfer Hotel gefunden. Bis heute ist Barschels Tod nie ganz aufgeklärt worden. Doch dann stolpert 1993 der „Saubermann“ der Affäre Barschel, Björn Engholm. Er hat die Unwahrheit darüber gesagt, wann genau er über die Barschel-Machenschaften informiert worden ist. Als dazu auch noch bekannt wird, dass SPD-Landeschef Günther Jansen Pfeiffer Geld zugesteckt hat, das er in einer privaten Schreibtischschublade aufbewahrt hat, erschüttert die sogenannte Schubladen-Affäre das Land. Die SPD bleibt jedoch noch die stärkste Partei. Heide Simonis tritt Engholms Nachfolge an und beendet ihre Karriere, als sie 2005 in vier Wahlgängen für das regierende Spitzenamt die Mehrheit verpasst, weil ihr eine Stimme – vermutlich aus der eigenen Partei – fehlt.

Neuer Ministerpräsident wird Peter Harry Carstensen (CDU), der mit der SPD eine Große Koalition bildet, die er am 15. Juli 2009 aufkündigt, woraufhin Schleswig-Holstein bis zu Carstensens Vertrauensfrage, die er gezielt verliert, acht turbulente Tage erlebt. Nun wird es Neuwahlen am 27. September geben. Beobachter fürchten angesichts der jüngsten verbalen Ausfälle zwischen Carstensen und dem SPD-Chef Ralf Stegner, die sich gegenseitig der Lüge bezichtigen, dass es einen schmutzigen Wahlkampf geben wird.

Ehrverletzungen haben in der schleswig-holsteinischen Landespolitik eine gewisse Tradition. Kai Uwe von Hassel, CDU-Ministerpräsident von 1954 bis 1963 kritisierte beispielsweise, dass der spätere Kanzler Willy Brandt (SPD) während des Nationalsozialismus einen Decknamen benutzt hatte und nach Norwegen ins Exil gegangen war. Er hielt ihm aber auch seine uneheliche Geburt vor („alias Frahm“). Hassel sagte wörtlich: „Ich verleugne nicht meine Volks- und Staatsangehörigkeit persönlicher und sonstiger Vorteile wegen. Ich kann diese Schicksalsgemeinschaft nicht verlassen, wenn es mir persönlich gefährlich erscheint, und ihr wieder beitreten, wenn das Risiko vorüber ist.“ Für diese Worte entschuldigt sich Hassel später, nachdem er 1963 als Verteidigungsminister in die Bundespolitik gewechselt war. Sie zeugen aber schon weit vor dem Barschel-Skandal von etwas verschobenen moralischen Leitplanken in Kiel. Engholm musste sich in einer Plenardebatte gefallen lassen, dass der CDU-Kultusminister Peter Bendixen Noten aus dem Zeugnis der Engholm-Tochter zum Besten gab.

„38 Jahre ununterbrochener CDU-Regierung haben natürlich Spuren bei der SPD hinterlassen. Bei der Union dachte ja manch einer, er sei der Staat“, meint SSW-Politiker Karl Otto Meyer. Er erinnert sich: „Es war tatsächlich so, dass bei Parlamentsreisen mit Abgeordneten aller Fraktionen diese immer getrennt saßen.“ Eberhard Dall’Asta, ehemals CDU-Landtagsabgeordneter und Landeschef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft, berichtet von parteiinterner Kritik, wenn er zu oft mit Sozialdemokraten an einem Tisch saß.

Heide Simonis versuchte diesen frostigen Umgang etwas aufzubrechen, indem sie als Finanzministerin im Kabinett Engholm nach Beendigung der Haushaltsberatungen mit den Abteilungsleitern ihres Ministeriums und dem gesamten Finanzausschuss eine gemütliche Runde samt Essen abhielt. Ihr Amtsnachfolger Claus Möller hat diese Tradition bis 2003 weitergeführt. Finanzminister Ralf Stegner hielt sie offenbar nicht mehr für nötig. Er schaffte die Runde ab.

Der SPD-Abgeordnete Günter Neugebauer sagte vor wenigen Tagen am Rande einer Plenarsitzung im Kieler Landtag: „In diesem Haus darf nicht gelogen werden.“ Die Verletzung dieser ungeschriebenen Regel ist aus seiner Sicht nicht nur ein politisches Foul sondern ein politischer Sittenverstoß. Dennoch rechnet kaum jemand damit, dass sich die Hauptakteure nun ausgerechnet in diesem Landtagswahlkampf um bessere Stilnoten bemühen werden.

Dieter Hanisch[Kiel]

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