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Politik: Schluss, Aus, Anfang

Von Stephan-Andreas Casdorff

Deutschland hat die Wahl. Das ist das Ergebnis dieses Tages, und auf seine Weise ist er historisch. Das größte Bundesland, NordrheinWestfalen, wird nun nach 39 Jahren Schwarz-Gelb regiert, und die Bundesrepublik soll im Herbst über die Koalition entscheiden, die sie regieren soll. Ein Coup? Ein letzter Versuch, den Untergang nach „Peer und er“ abzuwenden? Die Flucht nach vorn?

Nach 39 Jahren endet in NRW eine Ära mit großen Namen und großen Entscheidungen. Von diesem Land ging in der alten Bundesrepublik die Wende zum Sozial-Liberalen aus, zu einem Projekt, mit dem mehr Demokratie gewagt werden sollte. Und wieder spielt eine Koalition in diesem Bundesland Schicksal. Denn Rot-Grün, das zweite große politische Erneuerungsprojekt in Deutschland, hat aus dem Wechsel eine Konsequenz gezogen, die es so noch nicht gegeben hat.

Die Deutschen haben die Wahl. Die Partei der Nichtwähler, die stetig wächst, soll sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen dürfen. Es soll niemand mehr sagen dürfen, auf seine Stimme komme es eh nicht an. Falsch. Schröder, Müntefering, Fischer verlangen jetzt das politische Bekenntnis. Das ist ihre Losung: Die oder wir. Wir mit unseren Vorstellungen von Erneuerung und sozialer Gerechtigkeit, oder die, die mit den Heuschrecken kommen.

Wenn es so einfach wäre. Ein Coup ist das, was Müntefering gesagt hat, weil diese Unerbittlichkeit unerwartet ist. Ein letzter Versuch, den Untergang abzuwenden, ist es auch, weil in der SPD die Fliehkräfte so stark werden, dass ihnen nur ein großes, alles überwölbendes Ziel Einhalt gebieten kann; und auch nur für eine überschaubare Zeit. Bis Herbst hält die Solidarität der Genossen wohl noch.

Eine Flucht nach vorn ist es allemal: Wenn Rot-Grün jetzt abrückte vom bisherigen Kurs, dann wäre das Bündnis den Kanzler sofort los. Einmal, weil Schröder von selbst ginge, immerhin hat er oft genug gesagt, dass er keine andere Politik kann. Zum zweiten, weil er, wenn ihm im Bundestag die Mehrheit für seine Politik fehlt, ob für Hartz IV oder geringere Unternehmensteuern, sowieso fertig ist. Darum wird jetzt zusammen gezwungen, was ohne Machtverlust ohnehin nicht mehr im Guten auseinander gehen kann.

Rot-Grün hatte keine Wahl. Ein Jahr vor der regulären Bundestagswahl hat die Koalition niemanden, der Schröder als Kanzler glaubwürdig ersetzen könnte, ohne sich selbst zu dementieren – also setzt sie ganz auf ihn. Aus der Not will die Regierung eine Stärke machen. Soll ja keiner und keine denken, sie gingen einem Kampf aus dem Weg! Sei es auch ihr letzter. So bauen sich die Alpha-Tiere nach Macho-Manier auf. Die Pose wird Politik. Und das gegen eine Frau als Kanzlerkandidatin, zum ersten Mal.

Aber Deutschland hat die Wahl. Es kann beurteilen, was sieben Jahre Rot-Grün gebracht haben. Ob es richtig war, dem größer gewordenen, vereinten Land die größte Sozialreform seit Kriegsende zuzumuten. Ob die Ergebnisse sich sehen lassen können. Oder ob die anderen, die Union und die FDP, jetzt besser wären. Deutschland, vor die Vertrauensfrage gestellt, soll sich entscheiden, ob es den gegenwärtigen Kurs oder einen anderen mittragen will. Die Deutschen sollen über ihre Zukunft bestimmen. Ein Plebiszit über die Zumutungen. Eine Zumutung ist das nicht. Es gibt Schlimmeres.

Eines bleibt ironisch: Das Patt zwischen Bundestag und Bundesrat, von dem Müntefering redet – das wird eher aufgelöst, wenn Deutschland Merkel wählt.

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