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Politik: Schmidt geht in die Offensive

Zwei Wissenschaftler sollen die Einwände der Unionsländer gegen Gesundheitsreform entkräften

Berlin - Gesundheitsministerin Ulla Schmidt geht im Streit mit den süddeutschen Unionsländern über die finanziellen Lasten durch die Gesundheitsreform in die Offensive: Bis Anfang 2007 sollen nun zwei Wissenschaftler ein neues Gutachten vorlegen, das die Einwände aus Bayern, Baden-Württemberg und Hessen entkräften soll. Als Gutachter will die Bundesregierung nach Informationen des Tagesspiegel den Chef der Wirtschaftsweisen, Bert Rürup, sowie den Vorsitzenden des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen, Eberhard Wille, berufen – beide Kritiker der Gesundheitsreform und über den Verdacht erhaben, Auftragsarbeit abzuliefern.

Rürup und Wille sollen Berechnungen des Kieler Instituts für Mikrodaten- Analyse überprüfen. Unter Berufung auf diese Studie hatten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen im Bundesrat ihre Zustimmung zur Gesundheitsreform infrage gestellt. Der Volkswirt Thomas Dabrinski war in seinem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kassen dieser drei Länder mit zusätzlichen Milliardenlasten eindeutig zu den Verlierern der Reform gehören würden. Gesundheitsministerin Schmidt sieht die Ergebnisse jedoch mit großer Skepsis. „Diese Zahlen stimmen nicht“, sagte sie.

Auch der Wirtschaftsweise Rürup hält das Gutachten, auf das sich ein Teil der Unionsländer stützt, für fragwürdig. „In dem Papier gibt es auf den ersten Blick methodische Schwächen“, sagte Rürup dem Tagesspiegel. Als „irritierend“ bezeichnet er außerdem das Vorgehen des bayerischen Ministerpräsidenten, der in den vergangenen Tagen besonders vehement mit einem Veto gedroht hat. „Stoiber hat die ordnungspolitisch äußerst fragwürdige Konvergenzklausel durchgesetzt“, sagte der Ökonom. Für Ulla Schmidt ist der aktuelle Streit mit dem CSU-Chef nämlich ein Déjà-vu: Bereits vor einem Vierteljahr schlug Stoiber Alarm, weil er für die bayerischen Kassenpatienten deutlich höhere finanzielle Belastungen als derzeit befürchtete. In einer nächtlichen Spitzenrunde Anfang Oktober setzte er daher die „Konvergenzklausel“ durch, die in der Koalition in Berlin leicht spöttisch „Bayern-Klausel“ genannt wurde: Sie sieht vor, dass die gesetzlichen Kassen in einem Bundesland pro Jahr nur mit maximal 100 Millionen Euro zusätzlich belastet werden dürfen.

Eine Klausel, die nach Berechnungen des Bundesversicherungsamtes nie zum Einsatz kommen wird. Dem Amt zufolge müssen Bayerns Krankenkassen maximal mit Zusatzlasten von knapp 37 Millionen Euro rechnen. Dabrinski hatte die Nachteile für den Freistaat auf gut eine Milliarde Euro beziffert. Keine seriöse Schätzung, monieren die Experten des Bundesversicherungsamts. So sei etwa nicht eingerechnet, dass es heute schon durch den im Jahr 1994 eingeführten Risikostrukturausgleich eine Umverteilung zwischen den Ländern gebe. Mit dem Ausgleich soll dafür gesorgt werden, dass eine Kasse nicht durch ihre Versichertenstruktur benachteiligt wird, etwa weil sie viele ältere Menschen als Mitglieder hat. Derzeit zahlen die bayerischen Kassen unterm Strich 550 Millionen Euro mehr in diesen Ausgleich ein als sie herausbekommen.

Die Aufregung der Südländer kann Rürup, bei aller Kritik, die er selbst an der Gesundheitsreform hat, nicht verstehen. Bereits im Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen bezeichnete er die von Bayern durchgesetzte Konvergenzklausel als „völlig verfehlt“. Es sei „höchst widersprüchlich, einen Gesundheitsfonds und einen bundeseinheitlichen Beitragssatz für alle Kassen zu beschließen und gleichzeitig die damit verbundenen Umverteilungseffekte zu beklagen“, schrieben die fünf Gutachter. Frei übersetzt: Dass es zu finanziellen Verschiebungen kommen werde, war absehbar und politisch gewollt. Während die Einkommensunterschiede der Versicherten zwischen den Kassen derzeit nur zu 92 Prozent ausgeglichen werden, sollte es künftig mit dem Fonds einen hundertprozentigen Ausgleich geben. Das heißt: Eine Kasse sollte nicht mehr davon profitieren, dass sie besonders viele Gutverdiener versichert.

Dass die regionale Umverteilung Ausdruck der bundesweiten Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung ist, hat vor kurzem auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Im Juli 2005 wiesen die Verfassungsrichter eine Klage gegen den Risikostrukturausgleich ab. Die Akteure waren damals dieselben wie heute: Vor Gericht gezogen waren die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen – vor allem, weil sie den Finanztransfer von Ost nach West nicht länger dulden wollten.

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