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Politik: Schon Großmacht – in der Theorie

DIE EU UND MAZEDONIEN

Von Gerd Appenzeller

Wie ein Aufbruch zu neuen Ufern sieht das nun nicht gerade aus, was sich da am frühen Montagnachmittag in der mazedonischen Hauptstadt Skopje ereignete. Eine 350 Mann starke Truppe der Europäischen Union übernahm das so genannte MazedonienKommando von der Nato; die Allianz beendet damit offiziell ihr Engagement in dem kleinen Balkanstaat. Aber ein erster Schritt ist das kleine Zeremoniell schon gewesen, mit dem aus der Aktion „Allied Harmony“ der EU-Auftrag „Concordia“ wurde. Denn Concordia, Eintracht, ist schon ein bisschen mehr als Harmonie. Mehr und anders. Seit gestern ist die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die ESVP, nicht mehr nur ein Kürzel, sondern Realität. Europa schickt sich an, eine Friedensmission ohne den Rückhalt der Nato durchzusetzen – und das heißt: ohne die Vereinigten Staaten.

Ist das nun ein neuer Akt in der europäisch-amerikanischen Tragödie der Spaltungen und Missverständnisse der letzten Monate? In Washington war das anfangs tatsächlich so interpretiert worden, als 1999 erstmals der Gedanke einer eigenen europäischen Interventions- und Garantiemacht für internationale Konflikte auftauchte. Damals war es noch die Administration von Bill Clinton, die ein von Frankreich quasi durch die Hintertür initiiertes, kontinentales Abnabeln vom transatlantischen Verbündeten fürchtete. Aber schnell war beiden Seiten klar, dass die alte US-Forderung nach einer massiven Stärkung des europäischen Pfeilers der Nato nur durch die Bildung einer schnellen EU-Eingreiftruppe erfüllt werden könnte.

EU statt Nato, das ist militärische Präsenz nicht nur ohne Beteiligung der USA, sondern auch ohne der Türkei. Und so richtig trennen lassen sich Nato- und ESVP-Kräfte in der Praxis auch nicht. Beide nutzen die gleiche Logistik und die gleiche Infrastruktur. Das spart nicht nur Kosten, es bildet auch Vertrauen. Das ist wohl der wichtigste Gedanke. Die Umsetzung der Idee in die Alltagstauglichkeit wird Europa aber noch viel Mühe und Geld kosten. Von den 350 Soldaten in Mazedonien bis zu den 60000 Mann, die die Eingreiftruppe einmal umfassen soll, ist es ein weiter Weg. Vertrauen in der Welt darauf, dass Europa als Konfliktschlichter und als stabilisierende Kraft wirken kann, wie demnächst vielleicht in Bosnien und im Kosovo, wird sich erst bilden, wenn diese Macht auch wirklich sichtbar ist.

Vorerst gebricht es ihr noch an vielem. Ein Satellitenaufklärungssystem, das Projekt Galileo, soll erst 2008 am Himmel sein. Den Luftwaffen fehlen Transportkapazitäten. Nur England und Frankreich haben eine Marine von Gewicht. Ohne diese beiden Staaten, ständige Mitglieder im Sicherheitsrat und Atommächte, wäre die ganze ESVP sowieso ein Witz. Und ein bisschen irrwitzig ist die bisherige Planung leider noch. So soll Ende April bei einem deutsch-französisch-belgisch-luxemburgischen Treffen die sicherheitspolitische Zusammenarbeit diskutiert werden. Aber wo ist Holland, der dritte Benelux-Staat? Er steht im Irak-Konflikt den amerikanischen Vorstellungen nahe – und wird deshalb von Paris, Berlin und Brüssel genauso wenig umworben wie die Briten. Und was ist mit Italien, dem EWG-Gründungsmitglied, was mit Spanien? Will die EU den diplomatischen Konflikt, wie er im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen offenbar wurde, nun im europäischen Rahmen weiter am Schwelen halten?

Wenn einer die Europäer und die Amerikaner wieder zusammenbringen kann, sind es die Briten. Die Vorstellung, Europa könne seinen Einfluss in der Sicherheitspolitik auf Kosten der USA vergrößern, ist absurd. Zwar hat Europa annähernd doppelt so viele Soldaten wie Amerika, aber es gibt nur halb so viel dafür aus. Washington investiert in die Kampfkraft eines Soldaten also das Vierfache. Der Bundeskanzler hat gerade noch angedeutet, er wolle die Bundeswehr stärken – und zuckte drei Tage später zurück. Dennoch: Gerhard Schröder, der längst an die Zeit nach dem Irak denkt, stellte auch fest: „Europa leidet nicht an zu viel Amerika, sondern an zu wenig Europa.“

Wie heißt doch die Mazedonientruppe der EU? Concordia? Eintracht? Dann mal ran. Bislang hat die angehende Großmacht allenfalls große Pläne.

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