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Politik: Schon oft schien in Nordirland der Friede greifbar - doch noch nie war er so nah (Kommentar)

Diesmal kam der Durchbruch auf leisen Sohlen. Unerwartet und unzweideutig hat sich die größte Terrororganisation Europas auf friedliche Methoden verpflichtet.

Diesmal kam der Durchbruch auf leisen Sohlen. Unerwartet und unzweideutig hat sich die größte Terrororganisation Europas auf friedliche Methoden verpflichtet. Die IRA will unabhängigen Drittpersonen Einblick in ihre Waffenarsenale gewähren. Die republikanischen Militaristen und ihre politischen Geschwister in der Sinn Féin-Partei haben endlich eingesehen, dass die Beteuerung ihrer friedlichen Gesinnung allein nicht ausreicht, um das wohlbegründete Misstrauen ihrer Gegenspieler auszuräumen. Jetzt sollen den Worten Taten folgen; die Kontrolle über die Kalaschnikows, Raketenwerfer und Sprengstoffvorräte wird künftig nicht mehr ausschließlich in der Hand einer militanten, illegalen Organisation liegen.

Das Wort Durchbruch ist indessen im nordirischen Kontext schon etwas abgenutzt. Über fünf Jahre sind seit den ersten Waffenstillständen vergangen, die Einigung über die Strukturen einer friedlichen Gesellschaft liegt auch schon mehr als zwei Jahre zurück. Haben wir vielleicht gelegentlich zu früh gejubelt?

Warum soll diesmal gelingen, was sich bisher als unerreichbar erwies? Da ist zum einen die schiere Abnutzung: Nach so vielen gescheiterten Versuchen machte sich Resignation breit. Die verführerischen Formeln traditioneller Kompromisslosigkeit fanden immer mehr offene Ohren, vergangene Erfolge verloren ihren Glanz. Die konstruktiven Kräfte in beiden Lagern Nordirlands büßten ihren Rückhalt ein. Sowohl Sinn- Féin-Präsident Gerry Adams als auch Unionistenführer David Trimble sind durch die Handlungsunfähigkeit der letzten paar Monate geschwächt worden. Die Wahl, so schien es, bestand zwischen Spaltungen und politischer Unbeweglichkeit. So mussten die Projektleiter dieses kühnen Unterfangens wählen: entweder den Sprung wagen oder in der historischen Versenkung verschwinden. Sie haben sich entschieden.

Doch es gibt weitere Gründe, diesmal optimistisch zu sein: Die Beteiligten haben endlich jene Spielregeln geändert, die sich bislang als destruktiv erwiesen. Die Entwaffnung der Untergrundverbände hat den Ruch der Kapitulation verloren, denn die Arsenale werden nun nicht, wie ursprünglich vereinbart, rituell übergeben, sondern verbleiben in der Hand der Paramilitärs. Internationale Inspektoren sollen sich vergewissern, dass die Waffen gesichert und unbenutzt bleiben.

So können alle das Gesicht wahren. Ohnehin hätte niemand je garantieren können, dass Gewalttäter nie zu ihrem alten Geschäft zurückkehren. Die neue Methode verfügt zumindest über das Potenzial, die leidige Entwaffnungsfrage dahin zu verbannen, wo sie hingehört: weit nach hinten.

Ebenso wichtig für den Durchbruch war die Erweiterung der Verhandlungsgegenstände. Das primitive Tauschgeschäft zwischen Entwaffnung und Regierungsbildung hat sich als zu eng erwiesen. Es verfügte nicht über genügend Variablen, um die Beteiligten politisch abzusichern. Das Geheimnis des Karfreitagsabkommens bestand in seinem atemberaubenden Anspruch, alle strittigen Themen zu behandeln. Alle erhielten Bonbons und Bittermandeln in gleicher Menge.

Daran haben sich die Regierungen wieder erinnert und ein größeres Paket geschnürt: Justiz- und Polizeireform verfügen nun über verbindliche Terminpläne, die Entlassung paramilitärischer Häftlinge soll bis Ende Juli dieses Jahres abgeschlossen sein, die restlichen Reformvorhaben erhielten die Mitte des nächsten Jahres als Abschlussdatum. Die beiden Premierminister, der Brite Blair und der Ire Ahern, haben sich noch einmal reingekniet und ihren schon etwas überstrapazierten Einfluss geltend gemacht.

Doch die Risiken werden von den nordirischen Politikern getragen. Ihr Einverständnis zum Neubeginn signalisiert, dass sie sich noch einmal zutrauen, ihre Gefolgsleute von den Vorteilen des demokratischen Ausgleichs auf der Grundlage der Gleichberechtigung zu überzeugen. Chefminister Trimble steht diese Aufgabe noch bevor, und seine innerparteilichen Gegner werden alle Register ziehen, um die IRA als unbelehrbares Monster zu entlarven. Die jüngste IRA-Erklärung sollte Trimble allerdings genügend Argumente für das Gegenteil liefern.

Martin Alioth

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