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Politik: Schon wieder Angst ums Alpenidyll

Die Schweiz entscheidet am Sonntag über ein neues Stück EU-Kooperation – die Wirtschaft setzt aufs Ja, die Rechte auf Fremdenhass

Zwei finstere Raben attackieren die Schweiz. Im Hintergrund lauert noch ein schwarzer Vogel. Unter dem Bild prangt die Frage: „Freipass für alle?“ Antwort: „Nein“. Die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei (SVP) bringt mit diesem Plakat ihre rabiate Botschaft auf den Punkt: Bei der Volksabstimmung am Sonntag müssen die Eidgenossen dem Zuzug von Rumänen und Bulgaren eine klare Abfuhr erteilen.

Konkret geht es morgen um die Frage: „Soll die Schweiz das bestehende Abkommen über Personenfreizügigkeit mit der EU weiterführen und auf die beiden Neu-EU-Mitglieder vom Balkan ausdehnen?“ Mit dem Votum entscheiden die Eidgenossen auch, ob sie ein ganzes Bündel von Verträgen mit der EU fortsetzen wollen. Bei einem Nein droht ein langwieriges Feilschen zwischen dem reichen Nicht-EU-Mitglied und Brüssel über neue Abkommen.

Während Regierung und Wirtschaft für ein Ja werben, zieht die SVP eine stramm ausländerfeindliche Kampagne auf. Dabei schürt die größte Partei Helvetiens gezielt die Ängste in der Rezession: Laut Umfragen schenken immer mehr Eidgenossen den aufrührerischen SVP- Parolen Glauben.

Rumänen und Bulgaren, so die SVP, bringen „mehr Kriminalität“. Schon heute seien in der Schweiz „Roma-Banden“ aktiv. Über die Rumänen in dem EU-Land Italien weiß die ultrakonservative Partei: „Seit dem EU-Beitritt ihres Landes kommen jeden Tag über 2000 Rumänen nach Italien. Viele leben dort in elenden Slums.“ In Spanien sei jeder zehnte Rumäne vorbestraft. Nichtkriminelle Balkanzuzügler würden in der Schweiz die Arbeitslosigkeit nach oben treiben. Die Arbeitsscheuen könnten sich über üppige Sozialleistungen freuen. Die Regierung in Bern hingegen appelliert an die Vernunft ihrer Landsleute. Denn ein Nein zu den Rumänen und Bulgaren würde auch andere Abkommen mit der EU kippen. Der Außenminister des EU-Ratspräsidenten Tschechien, Karel Schwarzenberg, sagt deutlich: „Wenn das Referendum mit einem negativen Entscheid ausgeht, dann enden mit der Guillotine alle sieben Verträge, die zwischen der Eidgenossenschaft und der EU abgeschlossen wurden.“ Der Inhalt der Abkommen: Abbau technischer Handelshemmnisse, öffentliches Bildungswesen, Luft- und Landverkehr, Landwirtschaft und Forschung.

Besonders die Schweizer Wirtschaftsministerin Doris Leuthard ist alarmiert: In einer Wirtschaftskrise wäre ein „Nein das Dümmste, was wir tun könnten“. Die Regierung unterstreicht zumal die Vorteile des sechs Jahre alten Abkommens über Personenfreizügigkeit mit der EU. „Aus der EU wanderten insbesondere gut qualifizierte Arbeitskräfte zu. Allgemein verstärkte sich die Zuwanderung aus den EU-Ländern auf Kosten der Zuwanderung aus Drittstaaten wie den Staaten des Balkans oder der Türkei.“ So finden immer mehr Deutsche den Weg nach Zürich, Basel oder Bern. Inzwischen leben mehr als 220 000 Bundesbürger unter den rund 7,5 Millionen Bewohnern des Alpenlandes. Viele Hamburger, Sachsen oder Hessen siedelten sich erst in den vergangenen Jahren an – die guten Löhne und die hohe Lebensqualität überzeugen. Weitere große Zuwanderergruppen sind Italiener und Emigranten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Trotz des bestehenden Abkommens über Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU: Auch Bürger aus alten EU-Staaten wie Deutschland brauchen in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung.

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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