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Politik: Schon wieder Kundus

36 Attacken seit Jahresbeginn – auch der jüngste Anschlag fällt erneut in das Gebiet der Paschtunen

Von Frank Jansen

Berlin - Es geschah wieder in einem der beiden Distrikte, die in der Provinz Kundus als besonders gefährlich gelten. Die beiden Bundeswehr-Soldaten und die fünf afghanischen Kinder starben am Montag in der Region Tschahar Dara, als sich ein Selbstmordattentäter neben der deutschen Patrouille in die Luft sprengte. Der Gouverneur der Provinz, Mohammed Omar, nannte als Tatort Tschahar Dara – und bestätigte Befürchtungen deutscher Sicherheitsexperten. In der Region westlich der Stadt Kundus war erst im August ein Fallschirmjäger der Bundeswehr bei der Explosion einer Sprengfalle ums Leben gekommen. Vier weitere deutsche Soldaten erlitten damals Verletzungen.

Neben Tschahar Dara gilt unter den Experten die Stadt Kundus und deren Umgebung selbst als gefährliches Gebiet. Der Grund klingt einfach, zeugt aber von einem der Kardinalprobleme, Afghanistan zu befrieden: In beiden Distrikten wohnen viele Paschtunen. Das stolze, in viele Stämme und Clans gegliederte Volk hat fremden Soldaten immer Widerstand geleistet. Weder die britische Kolonialmacht noch die Rote Armee konnten die Paschtunen besiegen. Und sie stellen heute nahezu ausschließlich die Kämpfer und Unterstützer der Taliban, zu denen der Selbstmordattentäter vom Montag vermutlich gehörte. Überall in Afghanistan, wo Paschtunen leben, sei die Sicherheitslage deutlich schlechter als in Gebieten mit anderen Ethnien, heißt es in Sicherheitskreisen. Auffällig sind vor allem die Provinzen im Süden und Osten Afghanistans. Hier dominieren die Paschtunen – und im Osten profitieren sie vom pakistanischen Hinterland in den „tribal areas“, in denen Paschtunenstämme das Sagen haben und reichlich Terroristen beherbergen, darunter die Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden und Aiman al Sawahiri.

Die Provinz Kundus ist eigentlich wie der gesamte Norden Afghanistans Siedlungsgebiet von Usbeken und Tadschiken. Überwiegend haben sie vor dem Einmarsch der Amerikaner 2001 die Nordallianz unterstützt. Ihre Kämpfer waren die einzigen, die den Taliban trotzen konnten, die damals Afghanistan fast vollständig erobert und in einen primitiven Gottesstaat verwandelt hatten.

Die Distrikte Tschahar Dara und Kundus-Stadt sind in der Provinz Kundus eine Art Paschtunensprengel. Die anderen Distrikte sind vergleichsweise ruhig. In Tschahar Dara registrierten die Bundeswehr und einheimische Sicherheitskräfte in diesem Jahr bis zum August bereits acht „Bedrohungslagen“, 2007 waren es insgesamt zwei. In Kundus-Stadt ist die Situation noch bedrohlicher: Hier gab es in den ersten acht Monaten 21 Angriffe, im vergangenen Jahr 19. In der gesamten Provinz Kundus zählten Bundeswehr und afghanische Behörden von Januar bis August 36 Attacken (2007: 27) feindlicher Kämpfer. Im Detail: dreizehn Feuergefechte, zehn Angriffe mit Mörsern und Raketen, zehn Anschläge mit selbst gebastelten Sprengsätzen – wie bei dem getöteten Fallschirmjäger Ende August – und drei Selbstmordanschläge. Zum Vergleich: In der ebenfalls von der Bundeswehr kontrollierten Provinz Samangan, ohne größeren Anteil Paschtunen, wurde von Januar bis August nur ein Angriff registriert, 2007 kein einziger.

Sicherheitsexperten sprechen von einer „Paschtunisierung“ des bewaffneten Widerstands. Von den Zuständen im Süden und Osten Afghanistans ist das Gebiet der Bundeswehr im Norden allerdings weit entfernt. Im Bereich des Isaf-Regionalkommandos Süd, das sind sechs Provinzen, gab es von Januar bis August 2500 Angriffe. Kaum weniger, 2400, zählte das Isaf-Regionalkommando Ost, zuständig für 14 Provinzen.

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