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Politik: Schottland: Mit solider Opposition schrittweise in die Unabhängigkeit

"Wir müssen die Wähler überzeugen, überzeugen, überzeugen, dass Unabhängigkeit für Schottland richtig ist." Mit diesen Worten skizzierte John Swinney, der frisch gewählte Parteichef der schottischen Nationalisten, am Samstag in Inverness sein Programm.

"Wir müssen die Wähler überzeugen, überzeugen, überzeugen, dass Unabhängigkeit für Schottland richtig ist." Mit diesen Worten skizzierte John Swinney, der frisch gewählte Parteichef der schottischen Nationalisten, am Samstag in Inverness sein Programm. Er gab sich redlich Mühe, seiner dünnen Stimme ein leidenschaftliches Timbre zu verleihen, und der Applaus kam reichlich aus allen Ecken des Saales. Mit über zwei Dritteln der Delegiertenstimmen hatte der 36-jährige Unterhausabgeordnete einen klaren Sieg über den Heißsporn Alex Neil errungen, der die Unabhängigkeit am liebsten gleich ertrotzen würde.

Schottland verwaltet sich seit etwas über einem Jahr selbst, allerdings nur mit einem sehr geringfügigen Ermessensspielraum in der Steuerpolitik. Und so durfte die zornige Beobachtung, dass das Land mit den größten Erdölreserven der EU nun die höchsten Benzinpreise hat, in keiner Parteitagsrede fehlen. Entgegen den Erwartungen hatte die Labour-Partei im Mai 1999 die absolute Mehrheit verfehlt und musste sich widerwillig mit der kleinen Liberaldemokratischen Partei unters Koalitionsjoch beugen.

Die "Scottish National Party" (SNP) war etwas enttäuscht, dass sie bloß 35 von 129 Mandaten im Parlament von Edinburgh erringen konnte und fügte sich in die Oppositionsrolle. Der 45-jährige Parteichef Alex Salmond schien bald einzusehen, dass der Traum von der Unabhängigkeit unter der neuartigen Selbstverwaltung zu verblassen begann und entschloss sich überraschend zum Rücktritt nach zehn erfolgreichen Jahren an der Parteispitze. Der im Gegensatz zum britischen Unterhaus entspannte Umgang unter den schottischen Abgeordneten bot dem charismatischen Salmond wohl zu wenig Gelegenheit, sein rhetorisches Feuerwerk wie gewünscht zum Zünden zu bringen. Die neueste Umfrage enthüllt, dass nur noch 24 Prozent der schottischen Wähler die Herauslösung aus dem Vereinigten Königreich befürworten. Gleichzeitig hat die SNP die Labour-Partei in der momentanen Publikumsgunst deutlich überrundet; die Machtablösung in Edinburgh ist nicht mehr undenkbar.

Vor der presbyterianischen "Old High Kirk" von Inverness posierte am Samstagnachmittag ein lachendes Brautpaar im herbstlichen Sonnenschein fürs Fotoalbum. Die Braut ordnete ihr eierschalenfarbenes Kleid mit üppiger Schleppe, der Bräutigam strich sich den Kilt glatt. Das politische Gleichnis drängte sich förmlich auf, auch weil einige knorrige Delegierte im Schottenrock zum Jahresparteitag in der Hauptstadt der Highlands erschienen waren.

Doch das Werben der SNP um die Gunst des schottischen Publikums wird unter John Swinney nicht allzu stürmisch ausfallen. Im Gegensatz zu seinem Rivalen Neil, der seine Verachtung für das schottische Parlament nur schlecht verbirgt, will Swinney das Parlament als Sprungbrett für sein Programm benutzen: Schrittweise sollen die Schotten mehr Kompetenzen erhalten. Sein verhaltenes Naturell, das an einen Buchhalter erinnert, wird ihm dabei nicht im Wege stehen. Er selbst sagt im persönlichen Gespräch bloß, er habe "im Finanzsektor" gearbeitet, bevor er vor drei Jahren Politprofi wurde. Jene Parteidelegierten, die lieber einen aggressiveren Führungsstil gehabt hätten, verwiesen auf die bisherige Schwäche der Nationalistenpartei im so genannten "central belt", dem wirtschaftlichen Herzen Schottlands zwischen den Metropolen Glasgow und Edinburgh.

Dort dominiert Labour unverändert, und manche hätten dem Altlinken Alex Neil zugetraut, Zugewinne auf Labours Kosten zu erzielen, während der neue Mann Swinney lediglich die bisherige Stärke der SNP im Nordosten und auf dem Lande unterstreicht. Taktisch wie auch programmatisch hat sich die SNP nun für die solide Option entschieden. Die Sehnsucht nach Unabhängigkeit wird etwas zu oft beteuert, um gänzlich glaubwürdig zu sein; die Partei rutscht - unter Betonung ihres sozialdemokratischen Credos - in die Mitte und bereitet sich darauf vor, die Regierungsverantwortung in einem ungeliebten, aber nützlichen Provinzparlament zu übernehmen.

Martin Alioth

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