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Politik: Schröders Ostreise: Ohne Pardon

Es waren keine Sebnitzer, die in den Genuss kamen, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als Erste die Hand zu schütteln. Der Kanzler war gerade seiner dunklen Limousine entstiegen, als er auch schon auf die Gruppe wackerer Senioren aus Dortmund zusteuerte, die der Seidenblumenmanufaktur einen Besuch abstatten wollten, dem hohen Gast aus Berlin aber den Vortritt lassen mussten.

Es waren keine Sebnitzer, die in den Genuss kamen, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) als Erste die Hand zu schütteln. Der Kanzler war gerade seiner dunklen Limousine entstiegen, als er auch schon auf die Gruppe wackerer Senioren aus Dortmund zusteuerte, die der Seidenblumenmanufaktur einen Besuch abstatten wollten, dem hohen Gast aus Berlin aber den Vortritt lassen mussten. Auch Minuten später vor dem Rathaus hatte der Kanzler mit seinem Bad in der Menge Pech. Diesmal geriet er an eine Reisegruppe aus Leipzig. Die Einheimischen sind eher rar. Es ist Markttag in Sebnitz, und die Leute haben zu tun.

Das war im Herbst vergangenen Jahres anders, die Meldung, Neonazis hätten den sechsjährigen Joseph am helllichten Tag im Angesicht der Bevölkerung ertränkt, erschütterte die Republik. Die Stadt stand unter Schock, Sebnitz wurde ein Schimpfwort. Der Bundeskanzler spendete der Mutter, Renate Kantelberg-Abdulla, in Berlin tröstende Worte. Das Image der Stadt schien für immer zerstört. Wochen später besuchte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) die Stadt. Da vermochte die Stadthalle den erzürnten Bürger kaum genug Platz zu bieten.

Mit den Touristen scheint die Normalität zurückgekehrt. Die Stadt habe für Werbeaktionen tief in ihre Taschen gegriffen, heißt es. Doch die Ereignisse des Herbstes sind unvergessen. Der Bundeskanzler habe jetzt die Möglichkeit, "sein unglückliches Agieren" von damals zu revidieren, sagt Bürgermeister Mike Ruckh. Der Stadt sei durch die pauschale Verurteilung großes Unrecht geschehen, räumt Schröder beim Empfang im Rathaus ein und verweist auf die Medien, die nicht mit ausreichender Sorgfalt recherchiert hätten. "Glücklicherweise" seien die Vorgänge ja nun aufgeklärt, jetzt müsse nach vorn geschaut werden. Alle trügen Verantwortung, rechtsradikalen Umtrieben zu wehren. Auf die erhoffte Entschuldigung des Kanzlers wartet Ruckh vergeblich. Er habe mit Renate Kantelberg eine Frau empfangen, die ihren Sohn verloren habe, sagt Schröder. Wer wolle ihm das vorwerfen? "Elegant", nennt es der hoch gewachsene Bürgermeister Ruckh später, wie Schröder den Punkt umschifft habe. Politikern fehle es eben meist an Größe, Fehler einzugestehen.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen nach fast neun Monaten eingestellt. Doch die Eltern des kleinen Joseph glauben offenbar noch immer, dass ihr Sohn ermordet wurde. Das grün gestrichene Haus der Kantelbergs liegt verlassen, die Apotheke hat geschlossen. Dem Vernehmen nach wollen die Kantelbergs wegziehen, die wirtschaftliche Lage der Familie sei schwierig, doch für ihre beiden Grundstücke habe sich bislang kein Käufer gefunden. Selbst Bundespräsident Johannes Rau soll die Sächsische Staatsregierung gebeten haben, zu helfen. Vergeblich. Unterdessen ist das Apothekerhaus unweit des Marktes ein Touristenmagnet geworden. Oft kämen die Leute, die fragen, wo denn die Apotheke der Kantelberg-Abdullas sei, wird erzählt. Dem Bundeskanzler indes blieb das Apothekerhaus verborgen. Nach einer kleinen Runde auf dem Marktplatz war er schon auf dem Weg zur nächsten Station.

Ralf Hübner

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