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Solidaritätsmarsch nach den Schüssen auf republikanische Abgeordnete in Alexandria bei Washington.

© Alex Wong/Getty Images/AFP

Schüsse auf Republikaner in USA: Für politische Gewalt darf es keinen Rabatt geben

Amerikas Politiker widerstehen der Versuchung, die Tat von Virginia zu instrumentalisieren. Was Deutschland daraus im Umgang mit Extremisten lernen kann, die sich auf gute Absichten berufen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Nun ist die Versuchung groß, die Schüsse und die Gewalt nach eigenen politischen Vorlieben einzuordnen. Sollte man nicht ein bisschen Verständnis für den Täter aufbringen, weil es so aussieht, als protestiere er mit seiner Bluttat gegen den Sozialabbau unter Präsident Donald Trump?

Dieser Versuchung muss man widerstehen. Denn sie führt, wenn man sie weiterdenkt, in die Logik des ideologischen Bürgerkriegs. Politischer Mord ist abscheulich. Und er wird nicht besser dadurch, dass er angeblich einer guten Sache dient. Welche Seite die gute und welche die schlechte ist, liegt am Ende im Auge des Betrachters.

Am Mittwoch hat James Hodgkinson, ein 66-jähriger Anhänger des linken Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders, auf republikanische Abgeordnete geschossen. Ihr Fraktionsführer Steve Scalise liegt mit lebensgefährlichen inneren Verletzungen im Krankenhaus. Die Parlamentarier übten am frühen Morgen auf einem öffentlichen Baseball-Feld für das traditionelle jährliche Match zwischen Republikanern und Demokraten, das seit 1909 ausgetragen wird. Die Erlöse kommen wohltätigen Zwecken zugute.

Angriff auf den Geist der Überparteilichkeit

In einer für die USA typischen Überhöhung interpretieren US-Medien die Tat als einen Angriff auf alles, was gut ist, an Amerika: den Nationalsport Baseball, um den sich mythische Erzählungen ranken, wonach der den Kern der Vater-Sohn-Beziehung dort ausmache; das jährliche Match zwischen Demokraten und Republikanern, das für einen wohltuenden Restbestand an Überparteilichkeit im Kongress stehe; und die ersten Reaktionen der Politiker, die unisono betonen, dass man nun über die Parteigrenzen hinweg zusammenstehen müsse.

Amerikas Politiker widerstehen der Versuchung, die Emotionen, die diese Tat auslöst, parteipolitisch zu instrumentalisieren. Weder werfen Republikaner dem Demokraten Sanders eine Art Mitschuld vor nach dem Motto, mit seiner rhetorisch scharfen Verurteilung republikanischer Politik habe er den Attentäter indirekt zu den Schüssen angestiftet. Noch bitten Demokraten um Verständnis in dem Sinne, es sei eventuell nachvollziehbar, dass republikanische Pläne, die Gesundheitsreform zurückzudrehen und die Reichen bei der Besteuerung auf Kosten der Ärmeren zu entlasten, Widerstand provoziere.

Auch der politische Gegner "liebt unser Land"

"Wir haben unsere Meinungsverschiedenheiten, aber in Momenten wie diesen tun wir gut daran, uns daran zu erinnern, dass alle, die in der Hauptstadt unserer Nation dienen, vor allem deshalb hier sind, weil sie unser Land lieben", sagte Trump. Er schlug damit den gleichen Ton an, den Barack Obama in solchen Situationen vorgeben hatte, zum Beispiel nach den Schüssen auf die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords in Tucson, Arizona, im Januar 2011.

Auch damals hätte es nahe gelegen, den Gewaltakt politisch zu instrumentalisieren und die Gegenseite verantwortlich zu machen. Kurz zuvor waren rechte Republikaner wie zum Beispiel Sarah Palin im Kongresswahlkampf sehr weit gegangen. Sie hatten Plakate aufgehängt, auf denen sie die Köpfe demokratischer Kandidaten mit einem Fadenkreuz versehen hatten. In den USA wandten sich die meisten Politiker gegen eine solche Schuldzuweisung, ganz voran der demokratische Präsident Obama. Deutsche Kommentatoren, vorwiegend aus dem linken Spektrum, wiesen hingegen den Republikanern eine Mitverantwortung zu, weil sie das politische Klima vergiftet hätten.

Und wie war das bei den Schüssen auf die Abgeordnete Giffords?

Dabei gab der Täter damals weniger Anlass für eine solche Kausalkette als der heutige Attentäter. Jared Loughner, der Schütze in Tucson 2011, war kein Anhänger der Republikaner, sondern ein psychisch kranker Einzeltäter. James Hodgkinson, der am Mittwoch schoss, war Wahlhelfer von Bernie Sanders und hatte seine parteipolitische Motivation deutlich gemacht. "Es ist Zeit, Trump & Co zu vernichten", hatte er gepostet. Und sich vor den Schüssen am Baseballfeld erkundigt, ob es Republikaner seien, die dort trainieren.

Auch in den USA wäre es leicht, diese Vorfälle für die jeweilige ideologische Mobilisierung zu missbrauchen. Viele Bürger hätten offene Ohren dafür. Nach den Schüssen auf einen bei Homosexuellen beliebten Nachtclub in Orlando vor einem Jahr ergaben Meinungsumfragen, dass Amerikaner die Tat nach ihren politischen Vorlieben einordnen. 79 Prozent der Republikaner sahen darin ein Beispiel für "islamischen Terrorismus". 60 Prozent der Demokraten interpretierten sie als einen Fall "inneramerikanischer Waffengewalt".

Deutsche Versuchungen

In Deutschland sind parteipolitisch motivierte Mordversuch Gott sei Dank eine seltene Ausnahme. Aber die Neigung, politisch motivierte Gewalt je nach den eigenen Vorlieben zu entschuldigen, ist bedenklich verbreitet. Wo bleibt der öffentliche Aufschrei, wenn deutsche Bürger einen Zahnarzt in Weißensee mobben, weil er Anhänger der AfD ist - einer Partei, die in Parlamenten sitzt und nicht als verfassungswidrig eingestuft ist? Die Szenen erinnern an Lynchjustiz. Und warum halten manche es für anstößig, wenn ein Berliner Parlamentarier eine Anfrage nach dem Ausmaß rechtsextremer Gewalt mit einer Anfrage nach dem Ausmaß linksextremer Gewalt beantwortet?

Demokraten sollten sich einig sein: Gewalt ist zu verurteilen, egal ob sie unpolitisch oder politisch motiviert, ob sie von rechts oder von links kommt.

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