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Gewalttätige Konfrontationen waren am Freitag in verschiedenen Stadtteilen Kairos im Gang.

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Update

Schüsse und Straßenschlachten in Ägypten: Tag der Wut in Kairo

Am ersten Freitag nach der blutigen Räumung der Pro-Mursi-Protestlager in Kairo, haben sich trotz des Ausnahmezustands Zehntausende Muslimbrüder im ganzen Land an Demonstrationen beteiligt. Es gab erneut Dutzende Tote und Verletzte.

Als um sieben Uhr abends die Ausgangssperre in Kraft trat, war in Kairo von Ruhe noch nichts zu spüren. Die Lage war chaotisch. Gewalttätige Konfrontationen waren in verschiedenen Stadtteilen im Gang. Den Freitag hatte die ägyptische Anti-Coup-Allianz zum „Tag der Wut“ erklärt. Ihr Protest galt den Hunderten Toten vom Mittwoch und der Entmachtung Mursis. In der Hauptstadt hatten sich die Mursi-Anhänger in 28 Moscheen in der ganzen Stadt getroffen und waren dann sternförmig Richtung Ramses-Platz im Zentrum gezogen. Tausende folgten dem Aufruf, obwohl Demonstrationen unter dem Ausnahmezustand verboten wären. Auch viele Frauen schlossen sich den Zügen an. Dagegen waren kaum Kinder zu sehen. Wütend verlangten sie die Todesstrafe für Armeechef, General Abdelfattah al-Sisi. „CC Mörder“ sprayten junge Anhänger des gestürzten Präsidenten auf Hausmauern und Plakatwände. 

Schiesserlaubnis für Polizei in Ägypten

Auf dem Ramses-Platz kam es am Abend zu schweren Zusammenstössen mit den Sicherheitskräften. Die Muslimbrüder beschuldigten Polizei und Armee das Feuer auf die Demonstranten eröffnet zu haben. In einer Moschee richteten sie ein Feldlazarett ein und appellierten an Ärzte, den Freiwilligen zu helfen. Lokale Medien zitierten Quellen der Sicherheitskräfte, die am Abend 50 Todesopfer in Kairo – etwa die Zahl, die auch die Protestierer nannten – bestätigten.  Ärzte berichteten von vielen Schusswunden.

 Auch in anderen ägyptischen Städten gingen Islamisten auf die Straßen 

Auch in anderen Städten des Landes wurde der Protest-Aufruf von vielen Tausend Islamisten befolgt. Die ersten Scharmützel mit der Polizei waren aus Alexandria und der Delta-Stadt Tanta gemeldet worden. Überall wo sich die Demonstranten Regierungseinrichtungen näherten, reagierten die Sicherheitskräfte mit Tränengas. In Kairo waren immer wieder Schüsse zu hören, wobei meist unklar blieb, wer die Schützen waren. An manchen Orten griffen Einwohner die Teilnehmer der vorbeiziehenden Demonstrationszüge an. In mehreren Stadtteilen lieferten sich Mursi-Anhänger und Mursi-Gegner heftige Konfrontationen mit Steinen und Knüppeln. Tote wurden von den Staatsmedien auch aus Alexandria, der Suez-Kanal-Stadt Ismailija und aus Damietta gemeldet.

 Der Freitag war für die Muslimbrüder ein Test ihrer Mobilisierungsfähigkeit

Der Freitag, der Tag des Gebetes der Muslime, war für die Organisation der Muslimbrüder ein Test, wie groß ihre Mobilisierungskraft trotz der stark geschwächten Führung noch ist, nachdem viele ihrer Kader seit der Absetzung Mursis am 3. Juli verhaftet worden sind. Einer ihrer Sprecher hatte auch gewarnt, dass der Zorn der Menschen so groß sei, dass die normalerweise straff organisierte Gruppe nicht mehr alle ihre Mitglieder unter Kontrolle habe. Der Medien-Berater der Muslimbrüder, Abir Mohammed Ali, verurteilte am Freitag alle Angriffe auf koptische Kirchen der vergangenen Tage scharf.

 Ägyptisches Innenministerium warnte davor, sich auf den Straßen aufzuhalten

Das Innenministerium hatte die Bürger im Vorfeld gewarnt, sich von sensiblen Orten und möglichst überhaupt von den Straßen fernzuhalten. Am Donnerstag hatte Innenminister Mohammed Ibrahim der Polizei erlaubt, mit scharfer Munition auf Demonstranten zu schießen, die Gewalt anwenden. Die Armee hatte alle Zufahrtsstrassen zum Rabaa al-Adawija-Platz und dem Nahda-Platz , die sie am Mittwoch geräumt hatten, abgesperrt. Auch alle Eingänge zum Tahrir-Platz und die Gegend des Ägyptischen Museums waren mit Militärfahrzeugen verbarrikadiert. Die Staatsmacht wollte offensichtlich verhindern, dass auf dem Tahrir ein neues Protest-Camp entsteht.

 Die Angst der Menschen in Kairo ist deutlich zu spüren

Die Angst der Menschen vor neuen Ausschreitungen war am Freitag in Kairo deutlich zu spüren. Viele verzichteten auf ihre gewohnte Freitagsroutine. Die beliebten Sport- und Freizeitclubs waren fast leer. Aus den Gesprächsfetzen an den wenigen besetzten Tischen, war unschwer zu erkennen, dass alle Unterhaltungen um das Thema Mursi und die aktuellen Spannungen kreisten. „Wir bekommen hier in Kairo die ganze Dimension der Krise gar nicht mit. Von der explosiven Lage in den oberägyptischen Städten wissen wir viel zu wenig“, meinte eine Koptin, deren Familie ursprünglich aus Minja stammt, wo in den letzten Tagen mehrere Kirchen angezündet wurden. Oberägypten ist die Hochburg der Muslimbrüder. Dort ist ihre Gefolgschaft prozentual größer als in der Hauptstadt Kairo. 

Er müsse Geld verdienen und könne sich nicht zuhause verkriechen, begründete ein älterer Chauffeur, der vor einem dieser Clubs auf Kunden wartete, seine Anwesenheit auf der Strasse. Er hoffe, dass die „Seinen“  Gewalt der Islamisten nicht zulassen würden. Mit den „Seinen“ meinte er nicht nur die Sicherheitskräfte, sondern auch die Tamarod-Rebellen, die dazu aufgerufen hatten, Volkskomitees zu bilden, um Kirchen, Moscheen und Nachbarschaften zu schützen. So sollte auch verhindert werden, dass die Islamisten neue Sit-ins in Wohnquartieren einrichten.

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