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Politik: Schuld sind die anderen

Die Unruhen im Kosovo haben inzwischen die gesamte Provinz erfasst. Und auch in der serbischen Hauptstadt Belgrad werden Moscheen angegriffen

Von Caroline Fetscher

„Es fühlt sich an, als würde 1999 noch mal von vorn losgehen“, sagt Jeta Xherra. „Als ob wir die Zeit um fünf Jahre zurückgedreht hätten.“ Die Projektleiterin des Londoner „Institute for War and Peace Reporting“ im Kosovo ist so verzweifelt, wie tausende andere, deren Arbeit seit dem Ende des Krieges vor fünf Jahren dem Aufbau gilt. Seit den Zusammenstößen am Mittwoch in der geteilten Stadt Mitrovica melden die Medien aus allen größeren Orten der UN-verwalteten Provinz Aufruhr: Brandstiftung gegen orthodoxe Kirchen und serbische Wohnhäuser, Menschenmengen im Marsch auf die Hauptstadt Pristina und serbische Enklaven, Drohungen gegen die Zivilverwaltung Unmik, Steinwürfe gegen die Polizei- und Militär-Patrouillen der internationalen Nato-Streitkräfte Kfor.

„In Pristina, wo sonst die Teenager in der Sonne flanieren, hört man nur noch Polizeisirenen und sieht Ambulanzen“, sagt Veton Surroi, Chefredakteur der größten kosovo-albanischen Zeitung Koha Ditore und leidenschaftlicher Demokrat. „Ich habe den Eindruck, dass niemand mehr den Kosovo unter Kontrolle hat, dass wir innerhalb von 24 Stunden von der Normalität zur Anarchie übergegangen sind.“ Auch in Serbien eskaliert die Gewalt. In Belgrad, Novi Sad und Nis wurden Moscheen angegriffen, albanische Bettler misshandelt, Sprechchöre riefen zur Rache für getötete Serben auf.

Vorfälle, bei denen Albaner oder Serben einander attackiert hatten, gab es in der Provinz, die im Süden des früheren Jugoslawien liegt, seit Beginn der UN-Verwaltung im Juni 1999 immer wieder. Doch nie eskalierten sie, noch dazu mit solcher Intensität. Zur aktuellen Situation tragen zahlreiche Faktoren bei: Ungelöst ist nach fünf Jahren UN-Verwaltung immer noch der Status der nominell südserbischen Provinz. Etwa 1,9 Millionen Menschen leben auf einem Gebiet, das etwa halb so groß ist wie Hessen. Fast 90 Prozent sind muslimische Albaner, der Rest zumeist christliche Serben. Die serbische Minderheit lebt vor allem im Norden des Kosovo und ist auf den Schutz der von dem deutschen General Holger Kammerhoff kommandierten Nato-Schutztruppe angewiesen.

Die Mehrheit der Albaner hofft auf Unabhängigkeit und wird deshalb von Jahr zu Jahr mehr enttäuscht. Hinzu kommt, dass der Kosovo wirtschaftlich nach wie vor am Boden ist. Als Sündenbock für die verfahrene Situation müssen je nach Nationalität die Serben, die Albaner oder generell die Unmik herhalten. Allerdings zeigt sich am Kosovo auch ein zentraler Mangel der UN-Verwaltung in dem Nachkriegsland: Ihr fehlt die wirtschaftliche Kompetenz.

Hinzu kommt, dass in Serbien seit Jahresbeginn eine Regierung an der Macht ist, die von der sozialistischen Partei des früheren Präsidenten Milosevics gestützt wird. Milosevic selbst steht als mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Den Haag vor Gericht. Durch die unverhohlen nationalistische Rhetorik der neuen Führung brachen alte Wunden wieder auf. Dass in Belgrad zum ersten Mal Kriegsverbrecherprozesse gegen ehemalige Angehörige serbischer Streitkräfte laufen, ändert daran wenig. Den Gesprächen zwischen Belgrad und Pristina, die wieder aufgenommen werden sollten, sah keine der beiden Seiten vorbehaltlos entgegen.

Bis zur Ermordung des serbischen Premiers Zoran Djndjic vor einem Jahr hatte es so ausgesehen, als würde Beldgrad im Gegenzug für westliche Finanzhilfen seinen Einfluss auf den Kosovo aufgeben. Nach der Ermordung Djindjics geht es den nationalistischen Machthabern in Belgrad nun darum, den Kosovo als Faustpfand zu erhalten. Daher blockiert Belgrad mit Bedacht ökonomische Reformen in der Provinz.

An Mitrovica, der Symbolstadt für den Kosovo – im Norden leben Serben, im Süden Albaner, dazwischen überquert eine bewachte Brücke den Fluss – entzündete sich der jetzige Aufruhr. „Serbische Politiker haben angefangen, Mitrovica in ihren Wahlkampfreden zu erwähnen”, sagt der Journalist Surroi. „Im Kosovo wechseln ständig die Verwalter, alle erwähnen sie am Anfang und am Ende ihrer Amtszeit Mitrovica.“ Eine gewisse Ruhe in der Stadt, so Surroi, habe die Illusion entstehen lassen, es herrsche Ruhe im Kosovo: „Diese Illusion ist jetzt zerbrochen.“

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