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Schuldanerkenntnis: Parlament bedauert Heimkinder-Leid

Der Bundestag will einen Runden Tisch über Qualen der Heimkinder zwischen 1945 und 1970 einrichten. Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach von einem besonders bedrückenden Thema.

Als wichtigen Zwischenschritt hat der Verein der ehemaligen Heimkinder den Beschluss des Bundestagspetitionsausschusses begrüßt, einen Runden Tisch zur Aufarbeitung des Unrechts in deutschen Kinderheimen der frühen Bundesrepublik einzurichten. Im abschließenden Bericht heißt es: "Der Petitionsausschuss sieht und erkennt erlittenes Unrecht und Leid, das Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Kinder- und Erziehungsheimen in der alten Bundesrepublik in der Zeit zwischen 1945 und 1970 widerfahren ist und bedauert das zutiefst". Der Anwalt des Vereins, Gerrit Wilmans, wertete das als eine "politisch bindende Formel". Es gilt als sicher, dass der Bundestag dem Bericht in der nächsten Woche zustimmen wird.

Der Petitionsausschuss hatte am Mittwochabend seine zweijährige Befassung mit dem Thema in öffentlicher Sitzung mit einem einstimmigen Votum abgeschlossen. Die Teilnahme von Bundestagspräsident Norbert Lammert unterstrich ein ungewöhnliches politisches Verfahren. Lammert sprach von einem besonders bedrückenden Thema, das über viele Jahre verdrängt worden sei. Es sei ein einmaliger Vorgang, wie sich der Ausschuss des Themas angenommen habe. Auch bei der weiteren Aufarbeitung werde Hartnäckigkeit erforderlich sein. Sechs der ehemaligen Heimkinder konnten an diesem Abend noch einmal über ihr schweres Schicksal berichten, das sie lebenslang begleitet. Friedhelm Munter vom Heimkinder-Verein, der Missbrauch und Gewalt ausgesetzt war, kommentierte das Ereignis am Donnerstag mit den Worten: "Was da gestern in dem Saal passiert ist, war so beeindruckend - das werde ich nie vergessen."

Ein zügiger Beginn der Arbeit könnte an den Ländern scheitern, fürchten die Heimkinder-Vereine

Der Runde Tisch soll seine Arbeit noch in diesem Jahr aufnehmen. Dem Gremium sollen neben Vertretern der Betroffenen konfessionelle und nichtkonfessionelle Heimträger, Wissenschaftler, Verbände, Kirchen, Justiz und Wirtschaft angehören. Als Moderatorin wird die frühere Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer dem Runden Tisch vorsitzen. Sie verglich die künftige Arbeit mit der Tätigkeit einer "Wahrheitskommission". Sie werde Moderatorin, nicht Richterin sein.

Am Runden Tisch wird auch die Bundesregierung vertreten sein. Die Federführung wird beim Bundesfamilienministerium liegen. Auch die Länder werden Vertreter schicken; in ihren Händen lag die Trägerschaft oder Aufsicht über die Heime. Ein Abschlussbericht soll bis Ende 2010 vorliegen. Geklärt werden soll vor allem, ob und wie frühere Heimkinder für erlittenes Unrecht, Kinderarbeit, entgangene Entlohnung und Sozialversicherung entschädigt werden können.

Der Heimkinder-Verein wertete die Ergebnisse positiv, machte aber auch kritische Anmerkungen. Es wurde die Befürchtung geäußert, dass ein zügiger Beginn der Arbeit an den Ländern scheitern könne, die sich an der Finanzierung des Runden Tisches beteiligen müssen. Eine Entschädigung der Betroffenen sei nicht mehr eine Frage des "Ob", sondern nur noch des "Wie", sagte Anwalt Wilmanns. Auch weil die Entschädigungen nur jeweils individuell erfolgen können, sei es wichtig, dass die Akten der ehemaligen Heimkinder zugänglich gemacht würden. Sie seien aber auch schutzwürdig, um diese Zeit für eine weitere wissenschaftlichen Aufarbeitung zugänglich zu machen. Der Erziehungswissenschaftler Manfred Kappeler wies auf aktuelle Bezüge hin: In der Satzung des Heimkindervereins hieße es, dass er auch für die Kinder und Jugendlichen arbeite, die heute in Heimerziehung geraten.

Der Petitionsausschuss hat sich seit November 2006 mit dem Schicksal von Heimkindern im Nachkriegsdeutschland befasst. Auslöser der Debatte war das Buch des "Spiegel"-Autors Peter Wensierski mit dem Titel "Schläge im Namen des Herrn". Danach sind bis in die 70er Jahre in staatlichen und kirchlichen Heimen Hunderttausende Kinder und Jugendliche durch Kinderarbeit und drakonische Strafen schikaniert worden.

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