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Schuldenkrise: Kommt ein Alleingang der Euro-Länder?

Ob alle EU-Staaten Vertragsänderungen akzeptieren werden, ist unklar. Bundeskanzlerin Merkel bleibt eisenhart.

Wenn Diplomaten undiplomatisch werden, ist die Lage ernst. Und es ist in höchstem Maße undiplomatisch, was ein ranghoher deutscher Regierungsvertreter am Mittwoch im Vorfeld des Euro-Gipfels verkündet: „Wir machen heute keine Kompromisse!“ Heute nicht, am Donnerstag und Freitag und Samstag in Brüssel auch nicht – „Wir werden uns nicht an Diskussionen über faule, noch faulere und schräge Kompromisse beteiligen“, versichert der Mann. Starker Tobak, zumal in einer Zeit, in der Angela Merkel ohnehin schon in Karikaturen und Kommentaren als Wiedergeburt deutsch-wilhelminischen Dominanzstrebens gegeißelt wird. Aber die Bundeskanzlerin ist zu dem Schluss gekommen, dass dieser Euro-Gipfel über nichts weniger entscheidet als den Fortbestand der gemeinsamen Währung, ja des ganzen Projekts Europa.

Wie will die Kanzlerin die anderen EU-Staaten beim Gipfel überzeugen?

Merkels Problem ist: Manche andere aus dem Kreis der 27 EU-Staaten verstehen unter einem großen Wurf etwas anderes als das, was die Kanzlerin mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vereinbart hat. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat den Vorschlag am Mittwoch an die Staats- und Regierungschefs verschickt. Er läuft im Kern auf ein Euro-Europa hinaus, wie es sich Helmut Kohl und Theo Waigel erträumt haben könnten: eine Stabilitätsunion, in der Haushaltsdisziplin nicht mehr wie im alten Maastricht-Vertrag reine Verhandlungssache bleibt: Alle Mitgliedsländer verordnen sich selbst eine Schuldenbremse nach einheitlichen Maßstäben; ob die Umsetzung in nationales Recht mit diesen Vorgaben übereinstimmt, soll die EU-Kommission überwachen; notfalls soll der Europäische Gerichtshof einen Mitgliedstaat zum Nachbessern zwingen können. Verstößt ein Staat später gegen die selbst auferlegten Regeln, sollen automatische Sanktionen greifen – oder, genauer gesagt, halb automatische: Mit Zweidrittelmehrheit sollen die Regierungschefs den Strafmechanismus stoppen dürfen.

Das ist ein Zugeständnis Merkels an Sarkozy, der darauf bestanden hat, dass die Politik und nicht eine EU-Verwaltung das letzte Wort haben müsse. Immerhin, heißt es in deutschen Regierungskreisen, sei das aber besser als das bisherige Verfahren. Da werden Sanktionen nur fällig, wenn zwei Drittel sich dafür aussprechen – was dann in der Praxis heißt: Nie.

Am Kern dieser Vorschläge, sagen deutsche Diplomaten, werde es keine Kompromisse geben. Und auch bei einem zweiten Punkt will Merkel eisenhart bleiben: Die neuen Regeln müssen regulär völkerrechtlich vereinbart werden. Dahinter steht die Überzeugung, dass nur ein auch juristisch wasserdichter Aufbruch die Märkte und die Öffentlichkeit überzeugen könne. Nur wenn Europa sich nicht scheue, auch die Mühen einer Vertragsänderung auf sich zu nehmen, werde daraus das Signal der Ge- und Entschlossenheit, das vom US-Finanzminister Tim Geithner bis jüngst zur Ratingagentur Standard & Poor’s alle fordern.

Wie reagieren andere europäische Länder auf mögliche Vertragsänderungen?

Als „Brüsseler Trickkiste“ verwirft ein deutscher Diplomat denn auch alle Überlegungen, eine Vertragsreform durch Änderung irgendwelcher Zusatzprotokolle zum Lissabon-Vertrag an lästigen Ratifizierungsprozeduren – die in manchen Staaten ja bis hin zur Volksabstimmung gehen könnten – vorbeizumogeln.

Wie kommt das deutsche Beharren auf Vertragsänderungen bei den anderen an?

Es stößt auf Widerstand. Zum Ärger der Deutschen: „Wir haben den Eindruck, eine Reihe von Akteuren hat den Ernst den Lage noch nicht verstanden“, schimpft deshalb ein Diplomat. Die Bundesregierung sei deshalb „mit Blick auf eine Gesamteinigung pessimistischer als letzte Woche“. Wenn es aber nicht zur Einigung der 27 komme, dann sei ein Vertrag wenigstens für die Euro-Zone „unverzichtbar“. Genauer gesagt: für „Euro plus“. Nicht nur die 17 Euro-Staaten, sondern auch andere Interessierte sollen mitmachen können bei einer Koalition der Sparwilligen. „Wir streben keine sich abschottende Euro-Zone an“, versichert ein deutscher Regierungsvertreter.

Wie reagiert Großbritannien als wichtigster Nicht-Euro-Staat?

David Cameron, der britische Premier, feuert seit Tagen über alle öffentlichen und diplomatischen Kanäle gegen das neue Euro-Europa, das sich da abzeichnet. In der Londoner „Times“ droht er mit einem Veto, wenn die Beschlüsse in Brüssel „unsere Interessen nicht wahren“ sollten. Im Unterhaus verspricht er, mit der Zähigkeit einer Bulldogge zu kämpfen. Am Dienstag ruft er die BBC in seinen Amtssitz in die Downing Street, damit die neue harte Linie noch in den Spätnachrichten verkündet werden kann: Cameron redet von einer „Britengarantie“ und „Regeln, damit der einheitliche Markt fair und offen bleibt für britische Schlüsselindustrien, einschließlich der Finanzdienstleistungen“.

Dahinter steckt sachlich die Sorge vor Attacken europäischer Regulierer auf den Finanzmarkt in der Londoner City, der nicht weniger als elf Prozent des britischen Steueraufkommens erwirtschaftet. Dahinter steckt in der Sache aber auch die noch viel größere Sorge vor einer Beschneidung des gemeinsamen, offenen und liberalisierten Markts. Wenn die Euro-Europäer untereinander Sonderverträge abschließen, so die Furcht, dann ist der Weg nicht weit, britische Interessen ganz generell zu ignorieren oder gar zu bekämpfen. Auch weil die Euro-Krise die britische Wirtschaft massiv belastet, ist die Londoner Regierung grundsätzlich an einer Einigung der 27 interessiert und nicht an einem Euro-Separatvertrag.

Cameron hat bei alledem aber obendrein ein innenpolitisches Problem: Der Premier steht unter scharfer Beobachtung der Euro-Skeptiker in den eigenen Reihen ebenso wie der europafreundlichen Liberaldemokraten. Wenn es hart auf hart kommt, könnten seine Hinterbänkler die Koalition sprengen. Den Euro-Skeptikern aber geht all das, was in den Ohren des übrigen Europa schon als wüste Drohungen Camerons klingt, bei Weitem nicht weit genug. Sie wollen Vertragsverhandlungen als Vehikel nutzen, die Beziehung Großbritanniens mit der EU grundlegend neu zu definieren. Ihre Minimalforderung ist die „Repatriierung“ von Regulierungskompetenz für Arbeitszeit und Leiharbeiter, Immigration und Fischerei.

Cameron will in jedem Fall vermeiden, sich einem Referendum über europäische Vertragsverletzungen zu stellen. Der Brite ist in erster Linie gemeint, wenn Merkel-Leute von der „Brüsseler Trickkiste“ reden. Denn Cameron würde die angestrebten Änderungen nur zu gerne an ein Protokoll zum Lissabon-Vertrag anhängen, das dann nur die Regierungen absegnen müssten und keinesfalls das Volk.

Wie steht das Nachbarland Polen, ebenfalls Nicht-Euro-Staat, zur Änderung der EU-Verträge?

Mit EU-Partnern wie Polen, die früher oder später selbst Euro-Mitglieder werden wollen, hat Merkel wenig Probleme. Das Land, derzeit Ratsvorsitzender der EU, hat denn auch Merkel und Sarkozy Unterstützung zugesagt. „Der Vertrag muss schnell und ohne nutzlose, komplizierte Diskussionen geändert werden“, befindet die polnische Ratspräsidentschaft. Mögliche Vertragsänderungen will Warschau – analog zum Vertrag von Lissabon – keineswegs per Volksabstimmung absegnen lassen. Eine EU zweier oder gar dreier Geschwindigkeiten will Polen auf jeden Fall verhindern. Auch Länder, die den Euro noch nicht eingeführt hätten, sollten bei der künftigen EU-Finanzpolitik ein gewichtiges Wort haben, fordert die polnische Regierung.

Außenminister Radoslaw Sikorski hat jüngst erklärt, sein Land fühle große Solidarität mit Deutschland, das als größter Nettozahler in der Euro-Zone auch eine Führungsrolle einnehmen müsse – vor allem wegen seiner Art des Wirtschaftens. Der Stabilitätspakt sei bisher über 60-mal gebrochen worden, so könne es doch nicht weitergehen, forderte Sikorski. So viel Nähe zu Deutschland geht dem rechtsnationalen Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski gegen den Strich. „Sikorski hatte keine Grundlage dafür, Deutschland die Führungsrolle anzubieten“, giftete er und forderte den Rücktritt des Außenministers.

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