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Schulpolitik: Schwarz auf Weiß - Südafrikas Bildungsapartheid

Der neunjährige Südafrikaner Siyolo hat Glück: Er darf auf eine Schule, in die sonst Reiche gehen. Eine deutsche Organisation macht das möglich. Denn bei der Bildung lebt die Apartheid in Südafrika weiter.

Von Anna Sauerbrey

Port Elizabeth - Den ganzen Morgen über hat Siyolo mit einer Konzentrationsfalte auf der Stirn und einem großen Bleistift in der Hand Buchstaben in sein Heft gemalt. Er geht gern zur Schule. Das ist kein Wunder, denn die Schule, die Clarendon Park Elementary School heißt, ist hübsch. In Siyolos Klassenraum ist der Boden aus Holz, durch das Fenster kommt ein angenehmer Luftzug. Auf dem Schulhof spenden Baumreihen Schatten, es gibt Tennis- und Rugbyplätze. Und einen Zaun. Übermannshoch ziehen sich spitze Metallstreben um das Schulgelände, wie auch um die Villen auf der anderen Straßenseite und die meisten Häuser im wohlhabenden Walmer, einem Vorort der südafrikanischen Stadt Port Elizabeth. Die Zäune sollen den Wohlstand schützen. Vor Armut und Kriminalität. Vor der Welt, aus der Siyolo stammt.

Eines der wenigen schwarzen Kinder an einer weißen Schule

Da klingelt es, und Siyolo springt mit den anderen Kindern von seinem Pult auf, sie rennen zum Hof, doch Siyolo kommt nicht weit. Auf halbem Weg zum Ausgang bringt ihn die energische Stimme von Trish Viljoen zum Stehen. Die Lehrerin stemmt die Arme in die Hüften. „Komm zurück Siyolo, was hast du heute als Lunch dabei?“ Der schmale Neunjährige streckt die Hand aus. In der Innenfläche klebt ein zerbröselter Cracker. „Wo ist deine Lunchbox“, insistiert Trish Viljoen. Siyolo geht zu seinem Schulbeutel und kramt eine Plastikbox mit blauem Deckel hervor, darin liegen zwei Toastscheiben, dazwischen Marmelade. Trish Viljoen nickt zufrieden, und Siyolo verschwindet im Gewimmel auf dem Schulhof, ein dunkler Punkt unter lauter hellen Gesichtern, eines der wenigen schwarzen Kinder an einer weißen Schule.

Den Besuch ermöglicht eine deutsche Hilfsorganisation

Siyolo wohnt keine zwei Kilometer von der Schule entfernt, aber jenseits der Heugh Road, im Armenviertel von Walmer. Dass er trotzdem an der Clarendon lernen kann, verdankt er drei Umständen: der allgemeinen Schulpflicht, die erst seit 1996 gilt, einem Neuzuschnitt der schulischen Einzugsgebiete – und einer deutschen Hilfsorganisation.

Der Besuch von Clarendon Park kostet 500 Rand im Monat, rund 50 Euro. Geld, das Siyolos Mutter nie aufbringen könnte. Das aber der Verein Masifunde für den Jungen zahlt. Masifunde, das ist Xhosa und bedeutet „Lasst uns lernen“. 2005 von Studenten der Universität Mainz gegründet, unterstützt Masifunde Kinder aus dem Armenviertel. Kernprojekt der Gruppe sind Bildungspatenschaften. Vierzig Schüler schicken die Deutschen zurzeit auf Schulen außerhalb des Townships. Vorgeschlagen werden sie von den Kindergärten, an einem Auswahltag wird getestet, ob sie sich konzentrieren können. Ein weiteres Kriterium ist, dass die Eltern den Schulbesuch unterstützen.

Siyolo hatte Glück. Er ist schüchtern, aber klug, und er hat eine Mutter, die sich gut um ihn kümmert. So hat er es nach Clarendon Park geschafft.

Er habe sich sehr gut angepasst, sagt seine Lehrerin Trish Viljoen. „Er hat immer alles dabei, sein Lunch, seine Sportsachen. So fällt gar nicht auf, dass er ein armes Kind ist.“ Trotzdem ist Siyolo noch nie zu Hause bei einem der Kinder seiner Klasse gewesen, auch nicht bei seinem Freund Benjamin. Von dem, was Masifunde will, ist nämlich eins deutlich einfacher zu erreichen als das andere: „Es geht nicht nur um die Integration in die Schule“, sagt Gründer Jonas Schumacher. „Es geht um die Integration in eine andere Kultur.“

Einzelne sollen aus dem Elend herauswachsen - und ihre Familien mitziehen

Für Siyolo steht nach der Pause Englisch auf dem Stundenplan. Er hat seine Cracker gegessen, und sein Freund Benjamin hat mit ihm die Süßigkeiten geteilt, die er am Kiosk der Schule gekauft hat. In der Klasse herrscht konzentrierte Geschäftigkeit. Siyolo liest leise eine Geschichte über die Gefahren einer Seereise vor. „Der Wind verebbte“, flüstert er fast. „Unser Schiff segelte nicht mehr.“

„Unsere Schüler sollen Multiplikatoren sein“, sagt Jonas Schumacher, der am Mittag in einem Café im alten Zentrum von Port Elizabeth das Konzept von Masifunde erklärt. Einzelne Mitglieder einer Familie sollen aus dem Elend herauswachsen und die Lage für alle verbessern. Die Idee stammt aus den 70er Jahren, als Patenschaften für Kinder in der Dritten Welt regelrecht in Mode waren. Viele Organisationen haben das Modell inzwischen wieder aufgegeben und sind zu strukturellen Maßnahmen übergegangen. Doch Schumacher ist davon überzeugt, so den Kreislauf von Nichtbildung und Armut durchbrechen zu können. Er ist 30 Jahre, trägt abgewetzte Jeans, seine Füße stecken in Flip Flops. Als Zivildienstleistender kam er nach Walmer Township und arbeitete für ein Kirchenprojekt. Als Student kam er zurück und verbrachte mehr Zeit im Township als an der Universität. Vor kurzem hat Schumacher seinen Job in Deutschland gekündigt. Noch steht Masifunde am Anfang. In der Datenbank des Zentralinstituts für soziale Fragen, das Hilfsorganisationen bewertet, taucht sie wegen ihrer geringen Größe bisher nicht auf. Schumacher will das ändern.

Die Lehrer von Clarendon sprechen mit großem Respekt von den jungen Leuten, die sich um die Hausaufgaben kümmern und nachhaken, wenn eines der Kinder ohne Essen kommt oder die Kleidung nicht gewaschen ist. Dennoch gibt es an den Schulen auch Vorbehalte gegen die Townshipschüler. „Die Schulen fürchten den Qualitätsverlust“, sagt Jonas Schuhmacher.

Siyolo wohnt mit seiner Großfamilie auf 40 Quadratmetern

Wenn Siyolo nachmittags zurückkommt in die großväterliche Hütte mit dem Wellblechdach, die zur Hälfte rosa gestrichen ist, zieht er als Erstes die Schuluniform aus und alte Kordhosen an. Die sind ihm zu kurz geworden, aber Geld für neue Kleidung gibt es nicht. Siyolo spielt draußen auf dem roten Staubplatz Fußball mit den Jungs aus der Nachbarschaft. Drinnen erzählt seine Mutter Noluthando Makasi, dass er den anderen auch Rugby beigebracht hat, den Sport der Weißen. „Das hat er in der Schule gelernt“, sagt sie.

Noluthando Makasi sitzt im Hauptraum der Hütte auf einer alten Couch, drei davon stehen hier, nachts dienen sie als Betten. Dominiert wird der Raum von einem Flachbildschirmfernseher, auf dem das Nachmittagsprogramm vorüberschneit. Neben ihr sitzt ihre Schwester und stillt ein Baby. Noluthando Makasi ist 30 Jahre alt, gemeinsam mit ihrem Sohn, ihren sechs Geschwistern und deren Kindern wohnt sie in der Hütte ihrer Eltern, auf rund 40 Quadratmetern. Ihr jüngster Bruder ist genauso alt wie ihr Sohn. Mit Siyolos Vater ist sie nicht verheiratet. „Mein Vater ist sehr traditionell“, sagt sie. „Als ich schwanger wurde, hat er erwartet, dass mein Freund eine Entschädigung zahlt, um die Ehre der Familie wiederherzustellen. Er hat das nie getan, deshalb kann er nicht mehr herkommen.“

Seine Mutter wollte studieren

Die Mutter zieht einen Plastikschnellhefter hervor. Jedes von Siyolos Zeugnissen hat sie einzeln in eine Schutzfolie gesteckt. „Siyolo bekommt wirklich gute Noten“, sagt sie.

Sie hat an der Township-Highschool ihr Abitur gemacht. Danach wollte sie studieren. „Aber dafür fehlte das Geld“, sagt sie. Regelmäßige Arbeit hat sie nicht. Manchmal geht sie babysitten. Dazu kommt das Kindergeld. Das reicht, um jeden Tag etwas zu kochen und einmal pro Woche Toastbrot zu kaufen für Siyolos Pausensandwich. „Was drauf ist, ist ja egal.“

Das Geld reicht für Toast mit Marmelade

Mit diesem Sandwich in der Plastikbox mit dem blauen Deckel läuft Siyolo jeden Morgen den staubigen Weg entlang, der von der Hütte bergab zum Hauptplatz des Townships führt. Links und rechts stehen bunt gestrichene Hütten mit Wellblechdächern. Dort, wo die Straße etwas breiter wird, liegt das Zentrum des Townships: ein asphaltierter Platz, ein paar flache Betonbauten. Davor türmen Händler Kohl zu Bergen auf, Frauen tragen Kürbisse auf dem Kopf davon. Auf einer Brache in der Nähe betreibt ein Sangoma, ein Wunderheiler, in einem Zelt sein lukratives Geschäft. Von diesem Platz aus reichen die Hütten bis an die Landebahn des Flughafens von Port Elizabeth. Die Township wächst. Die letzte offizielle Schätzung von 2001 ergab, dass rund 16 000 Menschen auf diesen vier Quadratkilometern leben. Heute könnten es bis zu 50 000 sein, genau weiß das keiner. Weil es in den wohlhabenden Vororten von Port Elizabeth und am Flughafen Arbeit gibt, ziehen immer mehr Menschen in die Township.

Siyolo wird vom Hauptplatz aus mit einem Minibus zur Schule gebracht, den Masifunde organisiert und bezahlt. Kurz vor der Ausfahrt aus der Township fahren sie an einer Reihe unverputzter Baracken aus grauen und roten Steinen vorbei. Das ist die Walmer Primary School. Die Schule, die Siyolo besuchen würde, wenn es Masifunde nicht gäbe.

An der Townshipschule wankt ein Betrunkener in das Büro der Direktorin

Einen Metallzaun sucht man hier vergeblich. Das Schulgelände fasert nach hinten in eine Brache aus, dort sitzen Händler auf einer Decke und verkaufen Süßigkeiten an die Kinder. Und weil an diesem Vormittag auch das kleine Schutzgitter vor dem Büro der Direktorin offen steht, hat Lukie Maker ungebetenen Besuch. Mitten im Raum steht ein Mann, schwankt und lallt, die Flasche noch in der Hand. Was er will, bleibt Luzie Maker unklar. Verschanzt hinter einem beeindruckenden Schreibtisch bewegt die majestätische Dame gelassen einen roten Lutscher von einem Mundwinkel in den anderen. Die Direktorin überlässt es Nomonde Mgoduka, den Betrunkenen loszuwerden. Die kurzhaarige, energische Lehrerin stellt einen Putzeimer ab, in den Pausen säubert sie die Toiletten, denn Reinigungspersonal gibt es nicht. Sie scheucht den Alten vor sich her in den Hof, der brüllt noch immer.

50 Schüler in einer Klasse

Nomonde Mgoduka geht in ihre Klasse, zu 50 Zweitklässlern. In den Raum kommt man direkt vom Schulhof, die Tür steht offen, denn durch die schmalen Fenster kommt kaum Luft. Das Mobiliar ist schon etwas abgeschabt, aber es gibt Stifte und Papier für alle. Die Kinder müssen aufstehen und das Alphabet aufsagen, erst das Englische, dann das Alphabet in Xhosa. Schnalzlaute klacken im rhythmischen Gesang.

Die Lehrerin ist ein Kind der Apartheid, erlebte das Schulsystem der Rassentrennung, dessen Motto lautete: Schwarze sollen nur so viel lernen, wie sie für die ihnen zugedachte Rolle in der Gesellschaft brauchen – Lesen, Schreiben, Grundrechenarten. Nur 25 bis 30 Prozent der schwarzen Schüler besuchten überhaupt eine weiterführende Schule. Auch viele, die heute in den schwarzen Schulen unterrichten, haben dieses System durchlaufen und nie eine Hochschule besucht – auch Nomonde Mgoduka nicht. Wie viele andere Lehrer hat sie nach dem Ende der Apartheid an einem einjährigen staatlichen Kurs teilgenommen, mit dem die Bildung der Lehrer verbessert werden sollte. Das Niveau ist weiterhin niedrig. Und es ist zumindest an der Walmer Primary School dem Gestern verhaftet. Nomonde Mgoduka ist Traditionalistin und gibt unumwunden zu, dass sie die „new education“, die neue Bildung, nicht mag. Die neuen Bücher, die das School Department schickt, nutzt sie nicht, hält sich lieber an die alten Lehrmethoden, die sie aus ihrer eigenen Schulzeit kennt.

Aber Bildungsniveau und -ideal der Lehrer sind nicht das einzige Problem. In Nomonde Mgodukas Klasse sitzen Schüler, deren Eltern nur selten eine Arbeit haben, viele sind mit dem Aidsvirus infiziert. Alkohol, Drogen und Kriminalität gehören zum Alltag. Ob ein Schüler ein Brot dabei hat, ist an der Walmer Primary School ein nachrangiges Problem.

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