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Die Verbraucher halten ihr Geld zurück.

© dpa

Schwache Konjunktur: Wenn Krisen und Krieg die Kauflaune vermiesen

"Islamischer Staat", Russland, Ebola - wenn Menschen Angst haben, halten sie ihr Geld zurück. Insofern ist die Wachstumsschwäche der Wirtschaft kein Grund, in Pessimismus zu verfallen. Politik kann einiges bewirken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Faszinierend, wie unsere Weltwirtschaft in Zeiten total vernetzter Waren- und Nachrichtenströme funktioniert: In Al Rakka, einem Städtchen im zentralen Norden Syriens, es ist etwas kleiner als Rostock und Berlin-Spandau, sitzt eine Männerrunde und fällt – per Standleitung mit anderen Terrorfürsten verbunden – ein paar Beschlüsse: zum Kopftuch, zur Benzinversorgung, zur Devisenbeschaffung, zur regionalen Schul- und Kulturpolitik. Und diese Entscheidungen des „Islamischen Staats“ versetzen Bürger von New York, Rio, Tokio bis nach Berlin wenn nicht in kollektive Panik, so doch wenigstens in Sorge.

Das wirkt wie Gift. Oder ein Heilmittel. Wir Bürger der freien Welt – die ist heute größer denn je – sind Milliarden potenzielle Urlauber, Auto- oder Immobilienkäufer. Uns vermiesen die Bilder aus Kobane und Erbil die Kauflaune. Unvergessen sind ja auch die von der Absturzstelle von MH17 in der Ukraine. Und nun die der Ebola-Toten in Freetown/Liberia, bald auch aus Kliniken in der EU? Kann es schlimmer kommen? Ja, sicher, muss es aber nicht. Nur spielt das Wissen darum, dass die Welt schon in viel tiefere Abgründe geblickt hat, in der Logik global vernetzter Märkte keine Rolle. Der Schaden ist da, sobald wir Angst haben, dann halten wir das Geld zusammen.

Da hilft weder Grundsatzkritik am Kapitalismus noch an der hyperempfindlichen Mediengesellschaft. Auch die Verbreitung von Zweckoptimismus hat noch keinen Aufschwung gebracht. Es gilt schlicht zu akzeptieren, dass die Stimmung sich eintrübt. Aber diese aktuelle Herbstdepression kann auch Antrieb sein, etwas zu ändern. Psychotherapeuten kennen das Phänomen: Sind Ängste – ob begründet oder nicht – groß genug und damit der Leidensdruck, steigt die Motivation, sich in Therapie zu begeben, ernsthaft an sich zu arbeiten.

Schäubles "schwarze Null" ist kein Wert an sich

In diesem Geiste haben Deutschlands führende Wirtschaftsforscher in Berlin ihre gesenkte Wachstumsprognose vorgestellt, in diesem Sinne machen auch die Notenbanker auf ihrem Jahrestreffen in Washington ernste Mienen. Ihnen kommen die Gruselbilder von IS und Ebola gerade recht, weil sie sich trefflich eignen, der Politik Reformdruck zu machen. So begründen deutsche Ökonomen ihre zurückgenommene Prognose auch mit sinkendem Verbrauchervertrauen – und fordern die Regierung auf, ihre populären Beschlüsse zum Mindestlohn und der abschlagsfreien Rente mit 63 zu überdenken. Dabei sind die kaum für gedämpftes Wachstum verantwortlich, zumal die Regeln noch gar nicht in Kraft sind.

Dieses Manöver war leicht zu durchschauen, was aber nicht bedeutet, dass die Bundesregierung weiter so passiv bleiben kann: Wolfgang Schäubles „schwarze Null“ im kommenden Haushalt hat keinen Wert an sich; eisernes Sparen wird die Wirtschaft in Deutschland und Europa genauso wenig retten, wie neue blutige Videos aus Syrien und Irak allein die Welt in die Rezession stürzen können. Am Ende spielt sich Wirtschaft eben doch nicht nur im Kopf ab, sondern gründet auf harten Säulen wie Arbeit und Produktivität.

Politik kann diese Entwicklung nicht sicher steuern, aber begünstigen, zum Beispiel durch öffentliche Investitionen in Infrastruktur, durch eine angemessene Vergemeinschaftung von Schulden in einem gemeinsamen Währungsraum. In Berlin und Brüssel muss man sich wieder bewusst machen: Kanzlerin und Kommissionspräsident sind mächtiger als jeder Kalif. Sie müssen nur Mut beweisen und gestalten wollen.

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