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© dpa

Schwarz-gelbe Koalition: Dekadenz und Taktik

Mit seinen Hartz-Thesen provoziert Westerwelle Ärger bei der Union – die eigenen Reihen schließt er.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Zu den kleinen sadistischen Momenten im politischen Berlin zählt immer der Moment, wenn der vom kleineren Koalitionspartner entsandte stellvertretende Regierungssprecher von der Kanzlerin den Auftrag kriegt, den kleineren Koalitionspartner abzubügeln. Am Montag ist Christoph Steegmans dran. Was die Kanzlerin davon halte, dass ihr Vizekanzler eine „Generaldebatte“ im Bundestag über den Sozialstaat fordert? Der FDP-Mann im Presseamt verzieht keine Miene. „Sie wissen, dass die Tagesordnung des Plenums vom Bundestag selbst festgelegt wird“, sagt Steegmans. Aber – fügt er an – Mitte März in der Haushaltswoche, da werde ja ohnehin generell die Regierungspolitik debattiert: „Die Haushaltsdebatte ist der richtige Ort für allgemeine Diskussionen.“

Als Unterstützung für Guido Westerwelle kann man das kaum verstehen. Die dürren Sätze im Namen der Kanzlerin entsprechen dem sonstigen Umgang der Union mit der Lautstärkeoffensive des FDP-Chefs gegen den von ihm entdeckten allgemeinen Sozialismus. Selbst einer wie Michael Fuchs, als Unionsfraktionsvize für Wirtschaft und Finanzen oft nicht weit weg von den Freidemokraten, schüttelt über Westerwelles Stakkato den Kopf. „Von der Wortwahl her hätte ich mich nicht so ausgedrückt“, sagt der Mittelständler, selbst wenn er „prinzipiell“ auch finde, dass man auf einen angemessenen Abstand zwischen Hartz-IV-Leistungen und Löhnen achten müsse. Eine Formel, die übrigens auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe benutzt:  „Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der nicht arbeitet.“ Fuchs wie Gröhe wissen schließlich: Auch in der CDU gibt es Milieus, die Hartz-IV-Empfänger schlicht als Schmarotzer sehen.

Dass es dem FDP-Chef um die Sache geht, glauben beide sowieso nicht. „Westerwelle möchte sich die Option für Steuerentlastungen aufrechterhalten“, vermutet Fuchs. „Die ist kaputt, wenn wir im Sozialbereich mehr ausgeben.“ Der CDU-Generalsekretär lässt ebenfalls durchblicken, dass er Westerwelles Offensive als taktisches Manöver betrachtet. „Fragwürdige Verallgemeinerungen und scharfe Töne erschweren nur die notwendige Debatte über die Umsetzung der Hartz-IV-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts“, mahnt Gröhe per „Süddeutsche Zeitung“ und schiebt noch einen Stich hinterher: „Dies ist nicht die Tonlage einer Volkspartei!“

Nun wird der FDP-Chef kaum erwartet haben, dass Merkel und die CDU ihm freudig beispringen bei dem Versuch, vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen den eigenen Stammwählern den altvertrauten Ton zu bieten. So wenig, wie Hessens FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn im Ernst geglaubt haben kann, dass Merkel seiner Forderung nach einem „Machtwort“ zugunsten ihres Vizekanzlers nachkommen wird.

Die kühle Reaktion des großen Koalitionspartners kann Westerwelle in gewisser Weise ja sogar recht sein. Ohne die empörten Reaktionen der Opposition und das Naserümpfen der Union würden Sprüche über „altrömische Dekadenz“ wirkungslos verhallen. So aber kann er sich als einer hinstellen, der von den politisch Korrekten geprügelt werde, bloß weil er die Wahrheit ausspreche.

Gegen diesen Gestus der verfolgten Unschuld ist wenig Kraut gewachsen. Nur Wolfgang Bosbach hat eine simple Idee. Der CDU-Mann aus Nordrhein-Westfalen hat historisch einige Erfahrung mit FDP-Politikern, die sich als missverstandene Propheten geben. Westerwelle möge doch mal bitte sagen, schlägt Bosbach vor, was er genau wolle. „Guido Westerwelle ist doch nicht mehr Oppositionsführer, er ist jetzt Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland“, sagt Bosbach. Da könne man sich doch nicht bloß in Kritik erschöpfen!

Aber genau dabei will Westerwelle offenkundig erst mal bleiben. Sein Generalsekretär Christian Lindner kündigt folgerichtig für die nächste Sitzungswoche eine Aktuelle Stunde zum Sozialstaat an. Die Mini-Redeschlacht ist sonst eine Waffe der Opposition. Fünf Minuten pro Redner lassen wenig Zeit für Argumente – für Polemik reicht’s immer.

Die eigene Partei, soweit sie sich zu Wort meldet, stellt sich übrigens hinter Westerwelles Vorgehen. Die Solidaritätsbezeugungen hängen wohl auch damit zusammen, dass NRW-Chef Andreas Pinkwart eine „breitere Aufstellung“ an der Parteispitze gefordert hatte. „Schädlich“ und „überflüssig“, lauten die Reaktionen. Und General Lindner dekretiert: „Die FDP agiert erfolgreich als Mannschaft, diese Mannschaft hat einen Kapitän.“

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