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Wohin die Reise für Angela Merkel und die Regierungskoalition wohl geht?

© dpa

Schwarz-Gelbe Koalition: Der Wunsch nach Genesung

An der FDP-Spitze steht mit Philipp Rösler ein neuer Mann. Er wird auch Vizekanzler – sonst bleibt im Kabinett alles beim Alten. Wie reagieren die Koalitionspartner auf den Wechsel?

Von Robert Birnbaum

Die Kanzlerin auf Krücken – das ist wirklich ein ganz dummer Zufall. Der lädierte Meniskus sorgt für das Bild, das Angela Merkel ausgerechnet jetzt gar nicht brauchen kann. Also humpelt sich Merkel möglichst ohne allzu große Abstriche durch ihren Terminkalender, sichtlich bestrebt, Business as usual zu demonstrieren. Tatsächlich ist derzeit aber gar nichts normal in der Koalition. Die Krise der FDP behindert das Regierungsgeschäft. Und in den Unionsparteien geht die Sorge um, dass die Erschütterungen noch länger nachwirken werden.

Behindert der Führungswechsel bei der FDP die Regierungsarbeit?

Wie sehr der Abgang Guido Westerwelles als Parteichef und die mühsame Suche nach der Nachfolgemannschaft die Regierungsarbeit blockiert, ist am Dienstagabend zu besichtigen. Seit Wochen ist für diesen Termin ein routinemäßiger Koalitionsgipfel vereinbart. Als Westerwelle stürzte, ist auf Unionsseite kurz erwogen worden, das Treffen abzusagen. Aber das, sagt ein regelmäßiger Teilnehmer dieser Runden, wäre als Zeichen der kompletten Handlungsunfähigkeit interpretiert worden: „Der Termin war schließlich bekannt.“ Also treffen sich die Partei- und Fraktionschefs im Kanzleramt. Auf der Tagesordnung stehen ein paar Fragen der inneren Sicherheit – allerdings nichts, was zwischen Liberalen, CDU und CSU wirklich richtig kontrovers ist – und der Zeitplan fürs Atom-Moratorium.

Wie viel davon im Ernst zur Sprache kommt – unklar. „Mit wem wollen wir denn im Moment langfristig verbindliche Vereinbarungen treffen?“ fragt ein Unionsmann. Westerwelle ist formal noch Parteichef, hat aber nichts mehr zu sagen. Dass der erst Stunden vorher designierte Nachfolger zu der Runde dazustößt, wäre möglich, aber ungewöhnlich und hilft außerdem auch nicht weiter: Philipp Rösler steckt in Themen jenseits der Gesundheitspolitik noch gar nicht drin.

Wie kommt die Kanzlerin mit Rösler klar?

In den Spitzen von CDU und CSU macht sich niemand Illusionen: „Erst mal bringt das alles Unsicherheit hinein“, sagt einer aus der CDU-Führung. Das gilt schon fürs ganz Persönliche. Merkel muss sich auf neue Gesichter einstellen, was sie zwar kann, aber nicht wirklich mag. Westerwelle war, bei allen Unterschieden in Politik und Charakter, für die Kanzlerin politisch und psychologisch zum präzise berechenbaren Partner geworden. Dazu trug die lange gemeinsame Geschichte das Ihre bei – von der Cabrio-Tour des Oppositionsduos über den Horst-Köhler-Präsidentencoup bis zum Dauerduell um Steuersenkungen.

Den Neuen kennt Merkel aus dem Kabinett, sonst aber kaum. Sie schätze den jungen Niedersachsen als ruhigen, unaufgeregten, blitzgescheiten Mann, berichten Kanzlerinnen-Kenner, einer wagt sogar den Satz: „Sie mag ihn.“ Mit dem Neuen verbinden sie bei der Union die Hoffnung, dass er nicht mehr Steuersenkungen um jeden Preis als Markenzeichen hochhalten wird. Dass Rösler versucht hat, Rainer Brüderle zu verdrängen, um selbst das prestigeträchtige Wirtschaftsministerium zu übernehmen, nehmen führende CDU-Leute als Beleg für Machtbewusstsein, was im rauen Klima an der Spitze der Politik als Qualitätsmerkmal gilt: Der 38-Jährige sehe zwar eher aus wie 28, sei aber augenscheinlich „kein Naivling“.

Kehrt in die Koalition nun Ruhe ein?

Dass Röslers Manöver mit Brüderle dann doch nicht gelang, unterstreicht die Befürchtung, dass mit der Nominierung Röslers die Probleme der FDP nicht gelöst sind. Ein Parteichef, der mit dem ersten Angriff auf alte Strukturen scheitert, dazu ein Ex-Parteichef, der sich als Außenminister jetzt erst recht beweisen will – das sind schon zwei, deren Zwang und Drang zur Profilierung das Koalitionsgeschäft nicht unbedingt einfacher machen dürfte. Nimmt man den Überlebenden Brüderle dazu und Fraktionschefin Birgit Homburger, hat es die Union demnächst mit einem Partner zu tun, der mit neuer Selbstfindung und Wundenlecken vollauf beschäftigt ist. Es ist darum nicht superdiplomatisch, aber doch ehrlich, wenn der neuen CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt am Dienstag zu Rösler der Kommentar entfuhr: „Der hat es schwer genug in den eigenen Reihen und damit, wieder Wählerinnen und Wähler zu bekommen!“

Mit zusätzlicher Sorge erfüllt manchen in der Union der Umstand, dass bis zum förmlichen Machtwechsel beim FDP-Parteitag am 11. Mai noch ein Monat vergeht. „Das ist ein langer Vorlauf“, sagt ein führender Christsozialer. Niemand kann sagen, ob sich so die Kurs- und Personaldebatte bei den Freidemokraten beruhigt oder verlängert und ob nicht der Parteitag selbst noch Überraschungen bringt.

Das alles wäre ja nicht weiter tragisch, wenn die Union ihrem liberalen Partner die Zeit lassen könnte und wollte, die er für die Neusortierung braucht. Doch die Zeit ist knapp und der Wille, höflich gesprochen, sehr unterschiedlich ausgeprägt. CSU-Chef Horst Seehofer hat zwar nach dem ersten schwarz-gelben Chaosjahr seine Versuche eingestellt, die FDP zu ducken und zu reizen, wo er konnte. Aber Seehofer findet speziell in Bayern den Regierungspartner per se überflüssig. Dass er den Gesundheitsminister einmal regelrecht gedemütigt hat, wird der als Parteichef auch nicht gleich vergessen – Rösler war nach München gereist, um Seehofer von seiner Gesundheitspolitik zu überzeugen, musste aber rasch erkennen, dass es dem maliziös lächelnden Bayern gar nicht um die Sache ging.

Auch in der CDU ist die Zuneigung zum einstigen Wunsch-Koalitionspartner nicht ungeteilt. Einerseits sind die Genesungswünsche ernst gemeint, die Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier formuliert: Die Union begrüße alles, was dazu führe, dass die FDP sich in der ganzen Breite der Politik handlungsfähig aufstelle. Ein hartnäckig malader Partner droht immer die gesamte Koalition mit sich hinabzuziehen.

Anderseits gibt es in der CDU neben den echten Freunden der FDP auch etliche, die die Partnerschaft nur mühsam ertragen. Der Wirtschaftsflügel hat mit Genugtuung registriert, dass sein alter Verbündeter Brüderle das Beben vorerst überlebt hat. Anderen in der CDU missfällt genau das. Brüderle war – neben dem eigenen Fraktionschef Volker Kauder – der härteste Verfechter eines Pro-Atom-Kurses in der Koalition. Kauder ist nach der Katastrophe von Fukushima erkennbar ins Nachdenken gekommen. Brüderle ist es erkennbar nicht. Speziell den stillen Anhängern künftiger schwarz-grüner Koalitionsoptionen gefällt der Gedanke nicht, dass sie einen kompletten Umschwung in der Atompolitik mit einer FDP hinkriegen sollen, die zwischen Brüderles Widerstand und dem Abschaltüberschwang des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner changiert.

Auf welchem Feld muss sich die Koalition nun zuerst bewähren?

Die Atompolitik zeigt am deutlichsten, warum die FDP eigentlich keine Zeit für ihre Krise hat. Das Atom-Moratorium, noch von Westerwelle mit beschlossen, läuft in zwei Monaten schon ab. Eine Einigung auf einen Zeitplan für das weitere Vorgehen war denn auch das Einzige, was Koalitionsvertreter sich vom Koalitionstreffen am Dienstagabend an Beschlüssen erwarteten. Rösler wird gerade drei Tage im Amt sein, wenn die Reaktorsicherheitskommission schon ihren Bericht über neue Sicherheitsfragen im Licht der Fukushima-Katastrophe vorlegt, kurz darauf folgt die Ethikkommission unter Klaus Töpfer. Wenig später muss die Koalition sagen, was sie will. Dafür muss die FDP wissen, was sie will. Und bei der Union können sie nur warten und hoffen, dass sich bis dahin die liberalen Fronten klären. Altmaier hat es vorsichtshalber so formuliert: Die Krise der FDP blockiere die Arbeit der Koalition nicht – „jedenfalls bisher“.

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