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Schwarz-gelbes Kabinett: Zusammen ist man weniger allein

Ein Jahr ist die schwarz-gelbe Koalition im Amt, nun plötzlich beginnt sie zu regieren, will Geschlossenheit zeigen – um jeden Preis. Das neue Energiekonzept stellten deshalb gleich fünf Minister auf einmal vor.

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Man könnte denken, es liegt daran, dass Norbert Röttgen aus dem Rheinland stammt. Der Rheinländer an sich neigt ja ab und an zum großen Wort. „Ein großer Wurf“, sagt Röttgen. „Ein Meilenstein in der Wirtschaftsgeschichte unseres Landes.“ Und für die, die jetzt immer noch nicht überzeugt sind, fügt der Umweltminister an, dass das vom Kabinett beschlossene Konzept „das anspruchsvollste, konsequenteste“ dieser Art überhaupt sei, bundesdeutsch sowieso, aber auch weltweit. Dann gehen ihm fürs Erste die Superlative aus, und Wolfgang Schäuble muss übernehmen. „Ein außergewöhnlich ambitioniertes Energiekonzept“, sagt der Finanzminister. Für einen protestantischen Badener ist das ein Eigenlob hart an der Grenze zur Hoffart. Es liegt also diesmal doch nicht bloß am Rheinland.

Fünf Minister hoch sind sie gekommen, vier Mann und eine Frau. Aneinandergereiht auf dem Podium der Bundespressekonferenz stellen sie das Energiekonzept der Regierung vor. Wieso es dazu ein knappes Drittel Kabinett braucht, ist eine gute Frage. Denn natürlich haben, einerseits, die Forschungsministerin Annette Schavan und der Verkehrsminister Peter Ramsauer und der Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Schäuble und Röttgen sowieso alle irgendwie ihren Anteil an diesem Konzept. Aber derlei Mit- und Nebenzuständigkeit gibt es bei den meisten größeren Gesetzesvorhaben. Trotzdem tritt normalerweise ein Ressortchef allein vor die Presse, manchmal sind es auch zwei.

Fünf nährt den Verdacht, es gehe um mehr und anderes als den vier Zentimeter starken Stapel trockenen Gesetzestext, der draußen vor dem Saal verteilt wird. Schäuble sieht übrigens elend schmal aus im Gesicht; kurz darauf wird sein Ministerium mitteilen, dass er wieder Probleme mit einer schlecht verheilten Wunde hat und länger ins Krankenhaus muss. Diesen Termin hat der Pflichtmensch trotzdem noch auf sich genommen. Weil, fünf ist rekordverdächtig. Fünf sieht aus wie: Wir legen uns mächtig ins Zeug.

Ein Jahr ist das jetzt her, dass diese Regierung ins Amt gewählt worden ist. Ein Jahr, von dem selbst glühende Verteidiger kaum mehr sagen können, als dass es ein verlorenes war. Offiziell wird das keiner so formulieren, sondern stattdessen auf das famose Sofortprogramm verweisen, mit dem die schwarz-gelbe Koalition unmittelbar nach Übernahme der Regierung den Bürgern eine erhebliche Entlastung ... Aber spätestens an dem Punkt des Vortrags ruft immer irgendjemand von hinten „Hotelsteuer“ dazwischen. Der Mehrwertsteuerrabatt für Hoteliers, diese kleine Vorzugsbehandlung einer kleinen Klientel, gemeinschaftlich durchgesetzt von CSU und FDP steht bis heute sinnbildlich für die Hybris eines einstigen Wunschbündnisses. Die FDP hat noch sehr lange geglaubt, dass Regieren heißt, sich selber Wünsche erfüllen zu können. Die CSU hat zumindest so getan, als glaubte sie das auch. Es hat ein Jahr gekostet und jede Menge Renommee, bis die rasant sinkenden Umfragedaten auch den Letzten zur Ernüchterung zwangen.

Am gleichen Tag, an dem das Minister-Quintett sich zeigt, blickt der Leser in Deutschlands größter Boulevardzeitung in die ernsten blauen Augen des Herrn Vizekanzler. „Fünf Euro mehr – das ist gerecht!“, sagt die Schlagzeile und sagt Guido Westerwelle. Das Interview nimmt eine Drittelseite ein. Das Stichwort „spätrömische Dekadenz“ kommt darin nicht vor. „Ich bleibe dabei: Wenn man arbeitet, muss man mehr haben, als wenn man nicht arbeitet“, sagt Westerwelle. Nur der Halbsatz vor dem Doppelpunkt erinnert sehr dezent daran, dass da mal was war mit einem FDP-Vorsitzenden, der sich mit Krawallrhetorik gegen einbrechende Umfragewerte stemmte. Jetzt präsentiert sich ein ernster Mann mit ernstem Gestus, der Sätze sagt wie: „Wenn man regiert, darf man nicht auf kurzfristige Umfragen oder Stimmungen schauen, sondern muss das Richtige tun.“ Es ist übrigens seit längerem das erste Mal, dass Westerwelle wieder über Innenpolitisches redet. Den ganzen Sommer über hat man, wenn überhaupt, nur den Herrn Bundesaußenminister im Fernsehen erlebt, auf Reisen, bei den Vereinten Nationen, unterwegs in deutschem Interesse. Und noch etwas war anders dabei: Die Schärfe in seiner Stimme hat sich abgeschliffen, dieser daueraggressive Unterton, der so prächtig zum Opponieren taugte und so wenig zum Regieren. Der Ton, der ihm zum größten Wahlsieg in der FDP-Geschichte verholfen und ihn hinterher – ja, das weiß man so genau noch nicht.

Nun also „das Richtige tun“. Vor allem aber: das Falsche, das Gezanke, das Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Wollen einstellen. Der zweite Unruheherd in der Koalition scheint es ja auch begriffen zu haben. Horst Seehofer hat seine vorläufige Hinwendung zur Selbstdisziplin neulich auf die ihm eigene Art – irgendwo zwischen Lausbüberei und Unverschämtheit – selbst auf eine prägnante Formel gebracht. Der CSU-Chef hielt eine Rede darüber, was sich Bayern von der Hauptstadt Berlin erwartet. Vor einem halben Jahr wäre der Auftritt in der bayerischen Landesvertretung noch krawallverdächtig gewesen. Jetzt ist der einzig bemerkenswerte Satz einer, der Seehofers neuen Stil beschreibt: Die Bayern seien historisch stets auf Seiten der Sieger gewesen – „und haben, wenn das nicht gelang, rechtzeitig die Seiten gewechselt“.

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Angela Merkel trägt am Dienstag das Knallrote. Das garantiert, dass die Kanzlerin heraussticht zwischen all den gedeckten Anzügen beim Bundesverband der Deutschen Industrie. Der Auftritt bei der BDI-Jahrestagung ist Pflichttermin, aber immer auch Temperaturmesser für das Verhältnis zwischen den Regierenden und den Mächtigen. Im Haus der Kulturen ist das Binnenklima wohltemperiert. Merkel kann sich auf eine typische Merkel-Rede beschränken: ohne viel Pathos oder Emotionen, ein Mienenspiel wie ein Wachsoldat. Sie hangelt sich durch die Sachthemen, Atom, Wirtschaftslage, Stuttgart 21 muss kommen – ein Heimspiel. Ein paar hundert Meter von hier, direkt vor dem Kanzleramt, blasen Anti-Atom-Demonstranten in Trillerpfeifen. In dem gediegenen Saal applaudieren die Nadelgestreiften genau an den Stellen, die der Kanzlerin wichtig sind. Ob sich jeder in der Politik bewusst sei, welche Aufgaben diese Koalition habe, hatte BDI-Präsident Hans-Peter Keitel in seiner Begrüßungsrede gefragt, pflichtgemäß. Merkel gibt die Mahnung als leise Bitte verpackt zurück: Es sei wichtig, „dass auch ab und an mal einer von Ihnen sagt, dass das ein guter Beschluss ist“.

Ansonsten ist ja selbst Merkel, die unterkühlte Norddeutsche, inzwischen notgedrungen auf den Superlativ gekommen, von wegen „Revolution“ in der Energiepolitik, von wegen „Herbst der Entscheidungen“. Sie wirkt dabei immer noch etwas verblüfft über sich selbst. Was sie glaube, wie die verkündete Entschlossenheit draußen bei den Leuten so ankomme, hat sie dieser Tage einer gefragt. Merkel platzte raus: „Es kommt nach meiner Erfahrung super an!“

Daran ist jedenfalls so viel richtig, dass Unionspolitiker unisono berichten, der eigenen Basis gefalle die kämpferische Merkel jedenfalls besser als die, die lange über den Wassern schwebte. In den Umfragen merkt man davon nichts. Aber, wie einer aus der CDU-Führung neulich richtig bemerkt hat: Es braucht Monate, um Fehler wieder auszubügeln, die zu begehen wenige Tage ausreichten.

So oder so ist da, wieder mal, ein Experiment im Gange. Die Versuchsanordnung lautet ungefähr: Kann ich mich mit meinen Beschlüssen inhaltlich maximal unbeliebt machen und trotzdem durch Standhaftigkeit und Superlative bei der eigenen Wählerschaft so viel Eindruck schinden, dass das die Verluste an anderen Ecken der Gesellschaft aufwiegt?

Ein riskantes Experiment; allein schon, weil der Superlativ sich schnell abnutzt, und noch weiter steigern verbietet nun mal die Grammatik. Schwierig aber auch wegen des Gefälles zwischen den Grundsatzbeschlüssen und dem Alltag. Wenn jetzt alle Vermieter dazu angehalten werden sollten, ihre Häuser energiesparend auszurüsten – das müsse doch der Mieter bezahlen, hat einer zum Beispiel den Minister Ramsauer gefragt. Ja, hat der gesagt, aber die Regierung wolle demnächst das Mietrecht so umgestalten, dass es Energiespar-Investitionen anreize und zugleich fair für die Mieter sei. Wie das denn beides zugleich gehen solle, hat der Frager ungläubig zurückgefragt. Das, hat Peter Ramsauer gesagt, das könne er jetzt auch nicht sagen, zumal dafür in erster Linie die Justizministerin zuständig sei. Woran man sieht: Nicht mal fünf Minister sind genug.

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