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Politik: Schweigen war Silber, reden die Pleite

Alle führenden Politiker wussten offenbar schon vor der Wahl um die Finanznot. Die ganze Wahrheit rückte keiner heraus

Von Antje Sirleschtov

„Maul halten!“ So oder so ähnlich muss es Anfang September durch Berlins Parlamentsflure geschallt haben. Wer diese rüde Order ausgegeben hatte, das ist heute nicht mehr nachvollziehbar. Sicher ist dagegen, dass das Objekt des Verschweigens erheblich war. Es ging um den wahren – und wie mittlerweile jeder weiß – katastrophalen Zustand der deutschen Staatsfinanzen. Und auch der Grund der kollektiven Heimlichkeit dringt ans Licht: Es war wohl die blanke Angst, am 22. September nicht gewählt zu werden, wenn sich den Bürgern noch vor dem Urnengang offenbart, wie schlecht die Lage ist.

Was manchem vorkommt wie ein finsterer Wahlbetrug, soll nun durch Ehrlichkeit ersetzt werden. Roland Koch, der hessische CDU-Regierungschef, schon im Landtagswahlkampf, ruft nach einem Untersuchungsausschuss. Rot-Grün habe seinerzeit „nach Strich und Faden gelogen", sagt er. Und begründet seine Vermutung mit Aussagen des früheren Grünen-Parlamentariers Oswald Metzger. Dieser hatte der Regierung vorgeworfen, „das desaströse Finanzloch" vor der Wahl bewusst verheimlicht zu haben. Über den wahren Zustand des Etats, sagt er, sei im rot-grünen Lager sogar Stillschweigen vereinbart worden.

Doch damit nicht genug. So dreist von Koch als Zeuge der Anklage benutzt, offenbart Metzger nun: „Alle haben es gewusst.“ Alle Finanzminister „und auch die Unionsspitzen in München und Berlin“ seien darüber im Bild gewesen, dass Deutschland das Drei-Prozent-Maastricht-Kriterium reißen wird. Metzger bleibt dabei: Kassenwart Hans Eichel und die rot-grünen Koalitionsspitzen hätten aus Sorge vor einem EU-Defizitverfahren geschwiegen. Aber die Letzten, die jetzt „Betrug“ schreien dürften, seien Unionspolitiker. Denn ihr Ausweg aus der Misere hätte das Defizit auf fünf Prozent hochgeschraubt. Magdeburgs FDP-Finanzminister Karlheinz Paqué stimmt dem kleinlaut zu. Wie es in Wahrheit um die deutschen Staatsfinanzen steht, dass sei ihm wie allen anderen Finanzpolitikern schon lange vor der Wahl „absolut klar“ gewesen.

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