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Schweiz: Eidgenössische Legenden

In der Schweiz soll die Mobilmachung der Truppen 1939 gefeiert werden – vielen wird flau dabei.

Pünktlich zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs am 1. September leben in der Schweiz alte Legenden wieder auf: Im Zentrum einer verklärten Vergangenheit marschiert einmal mehr die Armee – wackere Wehrmänner, die Hitlers Truppen trotzig die Stirn bieten. Als hätte es die schmerzhafte Debatte über die unrühmliche Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg nie gegeben, trommelt die „Aktion Aktivdienst“, ein Verband von Armee-Veteranen, für ihren „Gedenkanlass zum 70. Jahrestag der Kriegsmobilmachung vom 2. September 1939“.

Im Schweizerischen Militärmuseum Full wollen die Kameraden am 5. September auf einem „Festgelände“ ihrer Taten gedenken. Eine Feldküche wird die erwarteten 5000 Festgäste verköstigen. Militaria-Shows (Vorführungen mit Kampffahrzeugen im Geländeareal, Passiver Luftschutz 1940), ein Platzkonzert und eine Festansprache des Verteidigungsministers Ueli Maurer sollen die Ehemaligen in ihrem Glauben stärken: „Unsere Armee hat das Land 1939/1945 vor Krieg bewahrt.“

Schon jetzt bringt das Schweizer Fernsehen seinen Zuschauer die Zeit der Väter nahe: In der Serie „Alpenfestung – Leben im Réduit“ spielen Soldaten den harten Alltag in den Forts der Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg nach. Die Männer in den kratzigen Uniformen, bewaffnet mit Gewehren aus der Requisite, verstehen sich prächtig und zelebrieren vor allem eins: eine Bombenkameradschaft.

Doch der naive Blick auf die eigene Geschichte löst bei etlichen Schweizern Entsetzen aus. Die linke Gruppe für eine Schweiz ohne Armee fordert den Stopp der Militär-Klamotte im Fernsehen. Die Staffel sei eine „Farce und Geschichtslüge“, empören sich die Pazifisten. Der liberale „Tages-Anzeiger“ bittet: „Rettet uns vor dem Réduit.“

Auch das feldgraue Spektakel der Veteranen passt für viele Eidgenossen nicht zu einer selbstkritischen, modernen Schweiz. Da die Festansprache des Verteidigungsministers dem Treiben einen amtlichen Touch gibt, fühlt man sich an das Jahr 1989 erinnert. Damals gedachte das Land offiziell und mit viel Getöse des Kriegsausbruchs 1939 – keine andere Nation ließ sich zu solchen Feiern hinreißen. Immerhin: 1989 lag das ganze Ausmaß der Kollaboration der Schweizer mit dem NS-Regime noch im Dunkeln. Erst in den neunziger Jahren schockten die Enthüllungen über Naziraubgold und Konten ermordeter Juden in der Schweiz die Öffentlichkeit. Auch der Mythos von der Abschreckungskraft der Schweizer Armee geriet ins Wanken. Heute wissen Historiker: Vor allem die einträgliche Kooperation mit dem Dritten Reich und Hitlers Drang nach Osten bewahrte die Schweiz vor einem Angriff der Wehrmacht.

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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