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Politik: Schwieriges Terrain

Die Ansprüche der Nachkommen von Vertriebenen in Polen könnten dramatische Folgen haben

Berlin/Warschau - Polens Außenministerin Anna Fotyga hat ihren Wunsch nach einer Neuverhandlung des deutsch- polnischen Grenzvertrags von 1990 zurückgenommen. Sie bekräftigte aber, Polen brauche Rechtssicherheit, dass Klagen Vertriebener auf Rückgabe ihres enteigneten Privatbesitzes in den früheren deutschen Ostgebieten erfolglos bleiben.

Eine solche Sammelklage hat die „Preußische Treuhand“ kürzlich beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingereicht. Warschau wünscht seit langem eine Erklärung der Bundesregierung, dass Deutschland für offene Vermögensfragen aufkomme, da es um Folgelasten des Zweiten Weltkriegs gehe. Eine solche Garantie könne in den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 aufgenommen werden, schlug Fotyga jetzt vor.

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings mehrfach geurteilt, dass die Bundesregierung nicht stellvertretend für ihre Bürger auf deren private Eigentumsrechte verzichten dürfe. Das habe sie mit den beiden Grenzverträgen von 1970 und 1990, mit denen die Oder-Neiße- Grenze anerkannt wurde, auch nicht getan. Gäbe Berlin eine solche vertragliche Garantie ab, würde die Bundesregierung milliardenschwere Entschädigungsforderungen auf sich ziehen.

Da Polen und Deutsche die explosiven Folgen dieses Streits fürchten, behaupten Politiker beider Seiten gewöhnlich, man solle die Ruhe bewahren. Die Klagen der Vertriebenen seien ohnehin aussichtslos. Das ist nicht so sicher. Bei dem Konflikt geht es um gegensätzliche Rechtsauffassungen, bei denen sich moralische und juristische Argumente mischen. Mit dem Potsdamer Abkommen hatten die Alliierten 1945 die deutschen Oder-Neiße-Gebiete unter vorläufige polnische Verwaltung gestellt. Das kommunistische Polen hat den deutschen Besitz in diesen Territorien entschädigungslos enteignet. Warschau sagt, das sei Teil der Reparationen.

Die Bundesrepublik hat dagegen Grenzänderung, Vertreibungen und Enteignungen als rechtswidrig betrachtet. Als sie 1970 und 1990 die Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze anerkannte und 1991 den Vertrag über gute Nachbarschaft schloss, bekräftigte sie in begleitenden Briefwechseln, dass die Vermögensfragen davon unberührt blieben. In der Tat ändern Verlegungen von Staatsgrenzen nach internationalem Recht nichts an privaten Eigentumsansprüchen. Von den Gerichten ist also zu prüfen, ob im Falle der Vertriebenen – oder auch von Spätaussiedlern, bei denen die Rechtslage noch komplizierter ist – eine rechtmäßige und rechtskräftige Enteignung stattfand. Und im Weiteren, welche Folgen es hätte, falls Polen ein Gesetz verabschiedet, wie es grundsätzlich mit dem in kommunistischer Zeit enteigneten Privateigentum umgehen will. Anders als Tschechien, Ungarn oder Deutschland für das DDR-Gebiet hat Polen bisher keine Restitutionsregelung getroffen – weil die Lage so schwierig ist. Politisch und moralisch ist es undenkbar, dass Vertriebene generell ihren verlorenen Besitz zurückerhalten. Eine Lösung wäre, dass Polen Restitutionen grundsätzlich ausschließt. Dann dürfte es aber auch keinen Besitz an polnische oder jüdische Alteigentümer zurückgeben. Dies ist vereinzelt geschehen und bietet Ansatzpunkte für Vertriebene, auf Gleichbehandlung zu klagen. Polen hofft, dass europäische Gerichte die Klagen nicht annehmen, da der Streit auf 1945 zurückgeht, als es die EU noch nicht gab.

Spätestens, wenn Warschau die Lage gesetzlich regelt, wie Präsident Kaczynski es angekündigt hat, oder wenn Vertriebene auf eine Restitutionsentscheidung verweisen können, greift diese Hoffnung nicht. Seit 2004 ist Polen EU-Mitglied, es gelten die Rechtsprinzipien der EU.

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