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Erleichtert. Sebastian Edathy verlässt am Montag das Gerichtsgebäude, nachdem der Prozess gegen ihn eingestellt worden ist.

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Update

Sebastian Edathy: Trotz Geständnis ist seine Schuld rechtlich nicht erwiesen

Nachdem der Prozess gegen Sebastian Edathy eingestellt wurde, stellt sich nun die Frage, was genau er gestanden hat und ob seine Schuld erwiesen ist. Und was der Prozess jetzt für den Untersuchungsausschuss bedeutet.

Der Prozess gegen Sebastian Edathy ist vom Landgericht Verden eingestellt worden. Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete hat nun doch gestanden, kinderpornografische Bilder und Videodateien besessen zu haben. Nun soll der Angeklagte 5000 Euro an den Kinderschutzbund zahlen.

Was wurde Sebastian Edathy vorgeworfen?

Der frühere Politiker soll Anfang November 2013 von seinem dienstlichen Laptop aus russische Kinderporno-Websites besucht und dort Videos heruntergeladen haben. Außerdem fand die Polizei bei Razzien einen Bildband und eine CD mit jugendpornografischen Inhalten, deren Besitz ebenfalls strafbar ist. In solchen Darstellungen werden Jugendliche gezeigt, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind.

Warum konnte der Prozess eingestellt werden, obwohl es schon eine Hauptverhandlung gab?

Bei Vergehen - also weniger schweren Straftaten - kann ein Prozess noch bis zum Ende der Hauptverhandlung gegen eine Geldauflage eingestellt werden. Voraussetzung ist, dass Staatsanwaltschaft und Angeklagter zustimmen und das Gericht ebenfalls keine Einwände hat. Laut Gesetz muss die Geldauflage geeignet sein, das "öffentliche Interesse" an der Strafverfolgung zu beseitigen. Richter Jürgen Seifert sieht dies gegeben: Edathy sei geständig, er sei zudem ein Ersttäter und habe nur wenige Dateien innerhalb eines kurzen Zeitraums besessen. Er bleibe deshalb "ohne strafrechtliche Sanktion". Allerdings sei das Verfahren selbst eine erhebliche Sanktion gewesen. Hier habe er sich den Vorwürfen "vor der gesamten deutschen Öffentlichkeit gestellt".

Was hat Edathy bei seinem Geständnis gesagt?

Edathys Anwalt Christian Noll hat im Namen seines Mandanten eine Erklärung verlesen. Darin hieß es, dass die Vorwürfe gegen ihn zutreffen. Er habe die Bilder in Besitz gehabt, die protokollierten Logdatetein, die seine Website-Besuche belegen sollten, seien ihm zuzuordnen. Ausdrücklich bestätigte Edathy in der Erklärung auch, dass ihm die Inhalte bekannt gewesen seien. Er habe seinen Fehler eingesehen und bereue, was er getan habe. Er habe sich angegriffen gefühlt und geglaubt, sich verteidigen zu müssen. In der Verhandlung selbst sagte Edathy dann nur: "Ich bestätige, dass Herr Noll eine mit mir abgestimmte Erklärung verlesen hat." Richter Seifert machte für das Protokoll daraus einen deutlicheren Wortlaut: "Die Erklärung ist zutreffend, ich mache sie mir zueigen", diktierte er. Nur auf Facebook äußerte er sich und betonte, dass sein „Geständnis“ keine Schuldfeststellung sei.

Ist Edathys Schuld damit erwiesen?

Strafrechtlich gesehen nicht. Denn bei einer Verfahrenseinstellung nach 153a StPO gilt die Unschuldsvermutung weiter. Weder ist Edathys Schuld erwiesen noch ist er bestraft worden. Mit seinem Geständnis hat er die Vorwürfe allerdings selbst zugegeben. Im Urteil der Öffentlichkeit wird er daher als "schuldig" angesehen werden, obwohl es zu keinem förmlichen Urteil kam.

Warum hat Edathy gestanden?

Die Staatsanwaltschaft wollte der Einstellung nur zustimmen, wenn es von Edathy eine "glaubhafte, geständige Einlassung" gibt. Staatsanwalt Thomas Klinge sagte, es sei nicht darum gegangen, nachzutreten, sondern Rechtssicherheit zu bekommen. "Es kam darauf an, Unklarheiten zu beseitigen". Tatsächlich hatte Edathy in seinen Auftritten den Eindruck erweckt, für vermeintlich harmlose Bild- und Videobestellungen verfolgt zu werden, die zur Grundlage für Durchsuchungen bei ihm genommen worden waren. Die Ankläger betonten deshalb das "Aufklärungsinteresse", dem man nur durch die weitere Beweisaufnahme oder ein Geständnis gerecht werden könne.

Ist Edathys Reue echt?

Das weiß nur er selbst. In der Erklärung seines Anwalts fehlten Worte des Bedauerns, etwa dazu, dass Kinder für die Herstellung solcher Aufnahmen missbraucht werden. Juristisch ist das allerdings auch nicht notwendig gewesen, um die Strafverfolger zufriedenzustellen. Edathy selbst sparte sich am Montag weitere Statements, er ließ aber Anwalt Noll nach dem Ende des Prozesses vor die Presse treten. Der betonte, sein Mandant habe sich zum Inhalt der heruntergeladenen Dateien nicht geäußert, er habe als unschuldig zu gelten. Eine Fortführung des Prozesses wäre unverhältnismäßig gewesen. Das Geständnis, wie es vor dem Gericht abgegeben wurde, wiederholte er nicht. Offenbar geht es Edathy also immer noch darum, die Deutungshoheit über das Geschehen nicht ganz zu verlieren.

Warum hat Edathy nicht früher gestanden?

Wie sich am ersten Verhandlungstag vor einer Woche schon gezeigt hat, hätte der Angeklagte die Hauptverhandlung wohl ganz vermeiden können. Das Gerichte hatte seine Zustimmung zur Verfahrenseinstellung bereits signalisiert, ebenso die Staatsanwaltschaft, die allerdings auf dem Geständnis beharrte. Angesichts der Beweislage dürfte ihm sein Anwalt dazu auch rechtzeitig geraten haben. Es wird deshalb Edathy Geheimnis bleiben, warum er die Vorwürfe nicht früher einräumte. Womöglich hat er die Gelegenheit für einen weiteren, viel beachteten Auftritt gesucht.

Ist die Staatsanwaltschaft fair mit Edathy umgegangen?

Die Staatsanwaltschaft Hannover steht unter hohem öffentlichen Druck. Gegen den für sie zuständigen Vorgesetzten, den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig, wird wegen Geheimnisverrats ermittelt. Ein Fall betrifft auch das Edathy-Verfahren. Zudem gab es viel Kritik für öffentliche Auftritte der Beamten zu Beginn der Affäre und ihren Umgang mit dem Verdacht. Insofern wird die Forderung nach einem Geständnis auch etwas damit zu tun gehabt haben, dem öffentlichen Druck etwas entgegenzusetzen. Klinge schien jedoch zu fürchten, dass Edathy sich nach Abschluss des Verfahrens wieder als Opfer präsentiert. Ohne Not ging er deshalb in der Hauptverhandlung im Detail auf gesicherte Asservate ein, die auf dessen sexuelle Vorlieben schließen ließen. Das Versprechen, nicht nachtreten zu wollen, hat er damit nicht gehalten.

Was wird aus Edathy?

Bis Mai bekommt er noch ein Übergangsgeld vom Bundestag, dass Abgeordneten nach dem Verlust ihres Mandats beim Jobwechsel helfen soll. Danach ist Schluss. Wie es für ihn weitergeht, ist offen. Auch Wohlmeinende dürfte er mit manchen Auftritten und Statements verprellt haben, etwa mit seiner Ankündigung zum Jahresanfang, dass alle was "aufs Maul" bekommen sollen, "die es verdienen". Dennoch betonte Richter Seifert, "jeder hat eine zweite Chance verdient, auch Herr Edathy". Für ihn formulierte er die Worte, die dieser nicht gefunden hat: Dem Angeklagten sei bewusst geworden, wie er die Rechte und Entwicklungschancen von Kindern massiv beeinträchtige, indem er solche Filme und Bilder nachfrage und konsumiere. Es sei auch klar geworden, dass Edathy "eine solche Straftat nie mehr begeht". Er wünsche dem Angeklagten "alles Gute" und hoffe, dass künftig weniger Kinder das Opfer von Missbrauch werden.

Wie ist das Verhältnis Edathys zur SPD?
Das Verhältnis ist offensichtlich auf einem Tiefpunkt angelangt. Der Vorstand der SPD hat am Montag Edathy zum Parteiaustritt aufgefordert. „Wir erwarten, dass er die SPD verlässt“, sagte SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel nach einer Sitzung des Parteivorstands am Montag in Berlin. „Wir sind nach wie vor fassungslos darüber, dass Sebastian Edathy keinerlei Reue erkennen lässt und sich mit keinem Wort an die Opfer wendet.“ Schäfer-Gümbel verwies auf das Geständnis, das Edathy am Vormittag vor dem Landgericht Verden abgelegt hatte, und sagte: „Wir halten sein Verhalten nicht für vereinbar mit unseren Grundwerten.“ Parallel zu dem Aufruf zum Parteiaustritt werde die SPD das Ausschlussverfahren gegen Edathy fortsetzen. Die Angelegenheit liege derzeit vor der Schiedskommission des SPD-Bezirks Hannover. Die SPD hatte das Verfahren gegen Edathy vor einem Jahr eingeleitet, nachdem die Kinderpornografievorwürfe bekannt geworden waren.

Wie wirkt sich das Urteil auf den Untersuchungsausschuss aus?

Für die Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Fall Edathy, Eva Högl (SPD), gibt es keinen unmittelbaren Einfluss: "Das Geständnis kommt für mich überraschend, aber Herr Edathy ist demnach dem klugen Rat seines Anwalts gefolgt, was das beste für ihn war, was er machen konnte. Auf unsere Ausschussarbeit hat das ganze aber keinen unmittelbaren Einfluss, weil die konkreten Vorwürfe gegen Edathy gar nicht Bestandteil unseres Untersuchungsauftrag sind“, sagte Högl dem Tagesspiegel.

Und in der Tat geht es im Ausschuss nicht um die Frage der Schuld oder Unschuld von Sebastian Edathy, sondern um die politischen Begleitumstände. Wurde er über möglicher Ermittlungen informiert und wenn ja, von wem? Die Sorge aber gerade in der SPD ist, dass Edathy die Einstellung des Verfahrens zum Anlass nimmt, sich erst recht berufen zu fühlen, weitere Anschuldigungen zu erheben und die Partei damit in Schwierigkeiten zu bringen. Schon jetzt steht neben Michael Hartmann, der von Edathy als Informant genannt worden ist, aber auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann unter Druck. Der Ausschuss will nach Darstellung von Högl bis Sommer mit der Zeugenvernehmung durch sein.

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