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Sebastian Edathy oder Michael Hartmann, einer von beiden sagt die Unwahrheit vor dem Untersuchungsausschuss.

© dpa/Montage: Tsp

Update

Sebastian Edathy und Michael Hartmann: Wer lügt in diesem Schauspiel?

Zwölf Stunden tagte der Untersuchungsausschuss am Donnerstag bis tief in die Nacht. Doch nach der Vernehmung der beiden Zeugen stehen nur Aussage gegen Aussage. Klar ist nur eines: Einer von beiden lügt.

Um 01:40 in der Nacht von Donnerstag auf Freitag kam das Zeichen: Es langt für heute, keine weitere Befragung. Geklärt war bis zu diesem Zeitpunkt nach zwölf Stunden Sitzungsmarathon aber nicht viel. Im Gegenteil. Es sind mehr Fragen offen als zuvor, vor allem die eine: Wer lügt hier? Sebastian Edathy oder Michael Hartmann?

Einer von beiden sagt in jedem Fall nicht die Wahrheit, denn zu sehr stehen Aussage gegen Aussage, und das ist für einen der beiden besonders pikant, da Falschaussagen vor einem Bundestags-Untersuchungsausschuss strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können. Bleibt also nur ein Annäherungsversuch, wer von beiden glaubhafter war.

SPD verteidigt Hartmann, Opposition glaubt Edathy

Die Abgeordneten des Ausschusses sind sich in der Bewertung uneins. Die Ausschussvorsitzende Eva Högl (SPD) sieht sich in ihren Zweifeln an der Glaubwürdigkeit Edathys durch die Aussagen Hartmanns bestärkt. "Die Aussagen Edathys stehen in eindeutigem Widerspruch zu den Äußerungen von Hartmann, aber auch vom damaligen BKA-Präsidenten Jörg Ziercke und dem heutigen Fraktionschef der SPD Thomas Oppermann." Für sie stelle sich die Frage, warum Hartmann oder auch Ziercke ein so hohes strafrechtliches Risiko eingehen sollten, um Edathy zu helfen. Högl und Edathy gerieten im Ausschuss immer wieder aneinander. Edathy versuchte dabei, Högl auch in die Thematik direkt reinzuziehen und legte dazu am Freitagmorgen noch einmal via Facebook nach, indem er einen vermeintlichen SMS-Verkehr mit Högl veröffentlichte. Dabei ging es aber nicht um die Kinderporno-Vorwürfe gegen Edathy, sondern um die Besetzung der Verhandlungsgruppen für die Koalitionsgespräche mit der Union im Herbst 2013.

Die Grünen und die Linken sind komplett anderer Meinung. Irene Mihalic, Obfrau der Grünen, sagte nach der Sitzung: "Für mich erscheinen die Aussagen von Edathy in sehr hohem Maße schlüssig." Auch der Linke-Obmann Frank Tempel erklärte in der Nacht: "Herr Hartmann offenbarte unglaubliche Erinnerungslücken."

Nun könnte man das als parteipolitisches Geplänkel abhaken, doch tatsächlich lässt sich nicht genau ausmachen, wer hier lügt.

Edathy war rotzig, arrogant, aber war deshalb alles auch nur an den Haaren herbeigezogen?

Edathys-Auftritt war geprägt von Rotzigkeit und Arroganz. Seine Entschuldigung wirkte einstudiert. Und äußerte er sich eigentlich einmal zu den Umständen, unter denen die Filme entstanden sind? Zu dem Leid, das die Kinder oder Jugendlichen durchleiden, wenn Sie genötigt werden, solche Filme zu drehen? Darauf vor der Bundespressekonferenz angesprochen, bringt er nur seinen Verweis, den er wie ein Mantra immer wieder vorgetragen hat. "Es handelt sich bei den Filmen nicht um strafrechtlich relevantes Material." Eiskalt.

In der Sache hat er Hartmann und Ziercke scharf angegriffen. Die wichtigsten Widersprüche im Überblick:

- Edathy selbst betont, keine Beweise, aber Indizien für seine Behauptungen zu haben, dass Hartmann sein Informant war und dieser sich direkt auf Ziercke bezogen habe. Edathy zieht dafür den SMS-Verkehr mit Hartmann heran. Hartmann windet sich an dem Punkt. "Ich kann mich nicht erinnern", sagte er - wie so oft an diesem Abend. Der Duktus der Nachrichten passe zu ihm, sie wirken authentisch, aber er selbst habe keine SMS mehr, und außerdem sei ja eines der Handys von ihm, ein Krypto-Handy, gestohlen worden. Allerdings bot Hartmann an, über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik den Versuch zu starten, die gelöschten SMS wiederherzustellen.

- Edathy behauptet, Hartmann habe ihn am Rande des SPD-Parteitages in Leipzig in der Raucherlounge auf die Ermittlungen angesprochen. Hartmann bestreitet das. Edathy sei auf ihn zugekommen. Hartmann habe ihn beruhigen wollen und der Aussage Edathys, dass kein strafrechtliches Material vorhanden sei, voll geglaubt. Auch habe man nie über Kinderpornografie gesprochen. Wenig später muss Hartmann zugeben: "An jedes Wort kann ich mich auch nicht mehr erinnern."

- Jörg Ziercke soll laut Edathy Hartmann direkt und von sich aus über den Stand der Ermittlungen informiert haben. Das bestreitet Hartmann. Gleichwohl sagt er: "Es gab viele Gespräche mit dem BKA auch über Ermittlungen zu Kinderpornografie, aber nicht explizit zur Causa Edathy."

- Edathy behauptet, der damalige SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann habe Hartmann instrumentalisiert, um auf Edathy Druck auszuüben. So berichtete er auch von einem vermeintlichen Treffen zwischen Hartmann und dem Büroleiter Oppermanns im Januar. Oppermann bestreitet, dass er Mitarbeiter über Ermittlungen in Kenntnis gesetzt habe. Hartmann kann sich nicht mehr genau erinnern. "Es gab viele Treffen und Gespräche."

- Hartmann betont, dass sich viele in der SPD Sorgen um Edathy gemacht hätten. ",Wie geht es Sebastian' war schon eine Art stehende Redewendung." Von der Fraktions- oder Parteispitze habe sich aber keiner bei Edathy gemeldet. Allerdings habe es zwei Kollegen gegeben, die professionelle Hilfe angeboten hätten. Hartmann nennt aber keine Namen. Am Abend äußert sich SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach in der Sendung "Illner" im ZDF und behauptet, er habe Edathy Hilfe angeboten. Edathy dementiert das am Morgen auf Facebook: "Mal abgesehen davon, dass man dann konkret schreiend wegrennen müsste, ist das schlicht gelogen." Hartmann selbst habe Edathy helfen wollen. Merkwürdig daran: Hartmann selbst betont, dass das Verhältnis zwischen ihm und Edathy nicht besonders gut gewesen sei. Er habe Edathys Art nicht sonderlich gemocht Sie seien auch direkte Konkurrenten gewesen. Warum hilft man da? Das gehöre sich so, sagt Hartmann. Hinzu kommt jedoch, dass Hartmann selbst zu der Zeit persönliche Probleme hatte, die laut seinen eigenen Aussagen dazu geführt hätten, dass er die Droge Chrystal Meth zu sich genommen hatte. Er sei fertig gewesen, sagte er unlängst im "Spiegel". Aber bietet man, wenn man so fertig ist, dann auch noch Hilfe an?

- Hartmann erklärte, dass er sich Sorgen gemacht habe, dass Edathy sich umbringen könne. Warum genau, konnte er nicht erklären. Außerdem war er doch davon ausgegangen, dass Edathy keine strafrechtlichen Folgen aufgrund der Filme drohten. Edathy, so Hartmann, habe Angst um seinen Ruf und seine Karriere gehabt. Außerdem schildert er ihn als paranoid, was wiederum nicht ganz abwegig ist, vor allem wenn man sieht, wie Edathy sich später öffentlich äußerte und - bis heute - kommuniziert.

Hartmann bietet an, SMS-Kommunikation wiederherstellen zu lassen

Bei allen Zweifeln, die man an der Darstellung Hartmanns nach seinem wenig souveränen und zum Teil widersprüchlichen Auftritt haben kann, muss man auch sagen: Sollte Hartmann Recht haben, ist es für ihn schwer, dies zu beweisen. Denn wo keine Kommunikation gewesen war, kann auch keine nachgewiesen werden. Die SMS-Kommunikation steht in keinem Kontext, ist lückenhaft.

Gesehen haben sich die beiden am Donnerstag nicht, obwohl ihre Räume, in denen Zeugen des Untersuchungsausschusses in Pausen auf den Fortgang der Sitzung warten, Tür an Tür liegen. Aber es wird nicht die letzte Sitzung gewesen sein. Im Januar sollen Ziercke und noch einmal Edathy aussagen. Edathy wollte man gestern bereits mit den Aussagen Hartmanns konfrontieren. Nur waren wohl auch die Abgeordneten nach zwölf Stunden zweifelhaften Darstellungen erst einmal bedient.

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