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In der Hofburg: ÖVP-Chef Sebastian Kurz informierte am Montag den Bundespräsidenten über die Ergebnisse der Sondierungen.

© Herbert Neubauer/APA/dpa

Sebastian Kurz: Österreichs junger Meister des Machtspiels

Sebastian Kurz teilt praktisch alle Positionen der rechtsgerichteten FPÖ zur Migration. Seit Monaten beugt er deshalb Protesten aus dem Ausland vor.

In wie immer etwas gebückter Haltung überquerte Sebastian Kurz am Freitag den Wiener Minoritenplatz, grüßte artig Passanten, schüttelte Polizistenhände und verschwand samt Entourage hinter den Toren der österreichischen Präsidentschaftskanzlei. Es war sein großer Tag: Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragte den 31-jährigen Wahlsieger mit der Regierungsbildung.

Sebastian Kurz ist damit am Gipfel angelangt, an dessen Flanken hatte er sich fast zwei Jahre lang hochgearbeitet. Zuerst übernahm er seine dahindümpelnde Partei, die christlich-soziale ÖVP, ließ sich von ihr mit allen Rechten ausstatten und krönte seine Machtübernahme mit einer Volte, wie sie die österreichische Politik noch nicht gesehen hat: Im Wahlkampf kaperte er in der zentralen Flüchtlings- und Integrationsfrage einfach die Positionen der rechtspopulistischen FPÖ.

„Wenn man so will, haben über 60 Prozent das freiheitliche Programm gewählt“, ätzte FPÖ-Chef Heinz Christian Strache am Wahlabend etwas bitter. Die FPÖ hatte zwar fünf Prozentpunkte hinzugewonnen, war aber knapp hinter den Sozialdemokraten geblieben, die trotz eines vermurksten Wahlkampfs ihre rund 27 Prozent von 2013 halten konnten.

Nicht Romantik treibt ihn, sondern Kalkül

Reinhold Mitterlehner, der unsanft abgelöste Vorgänger von Kurz als ÖVP-Obmann, hatte bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren schwärmerisch aus Hermann Hesses Gedicht „Stufen“ zitiert: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...“. So romantisch ist der Neue nicht. In diesem Wahlkampf wurde kühl kalkuliert. Am Ende stand Kurz mit 31 Stimmprozenten als klare Nummer eins da.

Praktisch undenkbar, dass er – unter umgekehrten Vorzeichen – abermals eine Koalition mit den Sozialdemokraten eingeht: Da wurde zu viel Porzellan zerschlagen. Ebenso unwahrscheinlich, dass die SPÖ mit der FPÖ koaliert: Die Sozialdemokraten müssten erst auf einem Parteitag ihren seit 2004 geltenden Beschluss aufheben, nicht mit den scharf rechtspopulistischen Freiheitlichen zusammenzugehen. Ob es dafür eine Mehrheit gäbe, ist umstritten.

Außerdem passen die Programme von ÖVP und FPÖ weit besser zusammen: Sebastian Kurz teilt praktisch alle Positionen der Freiheitlichen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik; gleichzeitig ist die FPÖ, die in den vergangenen Wahlkämpfen fast antikapitalistische Töne gespuckt hatte, den wirtschaftsliberalen Vorstellungen der Volkspartei um einiges nähergerückt. Wie die ÖVP will auch Strache die Körperschaftssteuer auf Unternehmensgewinne senken. Erbschafts- und Vermögenssteuern, eine eherne Forderung der SPÖ, lehnen beide Parteien ab. Insgesamt will die FPÖ die Steuern um 13 Milliarden Euro senken, die ÖVP um 14 Milliarden. Wo diese Summen eingespart werden sollen, lassen beide offen.

Einig ist man sich, dass es bei Zuwanderern, ausländischen Arbeitskräften und Flüchtlingen finanzielle Einschnitte geben soll. Die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder wollen sowohl Kurz als auch Strache dem jeweiligen Einkommensniveau des Herkunftslandes anpassen.

Kurz hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt

Sebastian Kurz, dieser so junge Meister des Machtspiels, hat allerdings aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Wolfgang Schüssel, der vorerst letzte von der ÖVP gestellte Bundeskanzler, hatte im Jahr 2000 bei der Bildung seiner Koalition mit der Haider-FPÖ die Reaktionen des Auslands unterschätzt. Damals hatten die EU-Partner Sanktionen gegen die österreichische Bundesregierung verhängt, also quasi eine Quarantäne. Israel zog seinen Botschafter aus Wien ab, weil es in der FPÖ immer wieder antisemitische Entgleisungen gegeben hatte.

Dem beugt Kurz seit Monaten vor: Auf seiner Kandidatenliste steht etwa mit Martin Engelberg der Chef einer Fraktion in der Israelitischen Kultusgemeinde. Engelbergs Frau ist Direktorin des Jüdischen Museums in Wien. „Unsere Politik der Nulltoleranz gegen alle antisemitischen Tendenzen ist eine klare Vorbedingung für eine Koalition unter meiner Leitung“, meinte Kurz nach seinem Sieg gegenüber der Zeitung „Israel Hayom“.

Höchst unangenehm war es daher, als eine Woche vor der Wahl aufflog, dass ein Vorstandsmitglied der Tiroler FPÖ im Hinterzimmer seiner Apotheke eine üppige Sammlung von NS-Devotionalien hortete. Einer von vielen „Einzelfällen“, wie die FPÖ solche peinlichen Enthüllungen in der Regel nennt.

Im Internet kursieren jetzt auch wieder alte Fotos, die den heutigen FPÖ-Chef Strache Ende der 1980er-Jahre – damals war er 20 – bei Neonazi-Wehrsportübungen zeigen. Untertitel „Unser neuer Vizekanzler?“. Strache („Das war eine Jugendsünde“) bemüht sich seit Jahren um eine Imagekorrektur und ließ mehrere Funktionäre, die sich antisemitisch oder rassistisch äußerten aus der Partei ausschließen. Allerdings steht er innerparteilich unter dem Druck rechter Burschenschafter, die in der FPÖ wichtige Positionen bekleiden. Er selbst ist ebenfalls nicht immer trittsicher: Bei seinem ersten Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem bei Jerusalem trug er 2010 nicht die übliche Kippa, sondern eine „Biertonne“, eine Kappe der Burschenschafter.

Kanzlerin Merkel kam mit Kern besser klar

Der künftige Kanzler Kurz muss aber auch Brüssel und Berlin beruhigen. Angela Merkel ließ nach der Österreich-Wahl keinen Zweifel daran, dass sie mit dem sozialdemokratischen Kanzler Christian Kern bisher weit besser auskam, als mit Außenminister Kurz. Der hatte Merkels Flüchtlingspolitik immer wieder kritisiert, etwa im November 2016 in einem Interview mit dem „Münchner Merkur“, in dem er CSU-Chef Horst Seehofer überschwänglich lobte. Beim damals stattfindenden CSU-Parteitag trat Kurz als bejubelter Gastredner auf. Angela Merkel war zuvor von Seehofer ausgeladen worden.

In Brüssel war man über das Verständnis irritiert, das Kurz Staaten wie Ungarn, Tschechien und Polen entgegenbrachte, die nicht bei der Flüchtlingsverteilung mitmachen wollen. In diese „Visegrád-Gruppe“, benannt nach der ungarischen Stadt, in der ein informelles Abkommen geschlossen wurde, will FPÖ-Mann Strache auch Österreich einbringen.

Kurz hat das bisher nicht kommentiert.

Herbert Lackner

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