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SED-Aufarbeitung: Partei statt Stasi

Zwei Jahrzehnte nach Mauerfall und friedlicher Revolution will die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur die Rolle der führenden Partei in der DDR sowie ihre Geschichte innerhalb der kommunistischen Bewegung stärker ins Blickfeld von Forschung und politischer Bildung rücken.

Von Matthias Schlegel

Berlin - In den vergangenen 20 Jahren habe es beachtliches Interesse, großen wissenschaftlichen Output und breite mediale Aufmerksamkeit für die Staatssicherheit gegeben, aber der Auftraggeber, die SED, sei in den Hintergrund gerückt, sagte Stiftungsgeschäftsführerin Anne Kaminsky am Donnerstag in Berlin.

So untersuchen zwei von der Stiftung geförderte Forschungsgruppen vom Berliner Standort des Instituts für Zeitgeschichte München (IfZ) sowie vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) mit insgesamt acht Historikern zentrale Aspekte der SED-Geschichte zwischen Mauerbau und Mauerfall auf zentraler, regionaler und lokaler Ebene. „Zwischen Stasi-Debatte und Alltagsgeschichte klafft eine empfindliche Lücke in der DDR-Forschung“, sagte Projektleiter Jens Gieseke vom ZZF. Immerhin habe die SED auf ihrem Höhepunkt 1986 rund 2,3 Millionen Mitglieder gehabt – fast jeder fünfte Erwachsene habe also der führenden Partei angehört.

Das ZZF widmet sich gemeinsam mit der Friedrich-Schiller- Universität Jena dem Apparat des Zentralkomitees als dem eigentlichen Regierungszentrum der DDR, der regionalen Herrschaftspraxis der SED in Brandenburg/Havel sowie einer Analyse über die Struktur der Mitglieder sowie der Erosion an der Parteibasis zwischen 1979 und 1989. Das IfZ untersucht nach den Worten des SED-Experten Andreas Malycha Eliten und Konflikte in der SED zwischen 1961 und 1990, Politikspielräume und Interessenkonflikte am Beispiel der Wohnungspolitik im Bezirk Halle sowie das Verhältnis zwischen SED-Bezirksleitung und Stasi- Bezirksverwaltung im früheren Bezirk Karl-Marx-Stadt. Außerdem wird die SED-Arbeit in Richtung Bundesrepublik und deren Wirkungen erforscht.

Eine am heutigen Freitag in der Stiftung beginnende zweitägige Konferenz widmet sich den Beziehungen zwischen SED und kommunistischen Parteien in West- und Südeuropa von 1968 bis 1989 – und damit „erstmals der transnationalen Perspektive“, sagte der Historiker und Tagungsleiter Arnd Bauerkämper von der FU. Bisher sei die Partei vor allem aus der Binnensicht beschrieben worden. Das Tagungsthema wird flankiert vom soeben erschienenen „Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2010“. Der Schwerpunkt des 1993 von Hermann Weber begründeten Werks liegt diesmal auf der Geschichte der kommunistischen Bewegung in Westeuropa nach 1945. Der inhaltliche Bogen erstreckt sich von einem Beitrag von Gerhard Wettig über das Verhältnis Stalins zu den westlichen kommunistischen Parteien zwischen 1944 und 1951 bis zu dem Thema von Michael Mayer „Machterschleichung auf Filzpantoffeln“ über den Einfluss der DDR auf mögliche Regierungsbeteiligungen der kommunistischen Parteien in Frankreich und Italien in den 70er Jahren.

Aber warum entdeckt die 1998 gegründete Bundesstiftung erst heute jene Partei, die sogar Bestandteil ihres Namens ist? Man habe sich bisher darauf konzentriert, an das Unrecht selbst, an die Opfer, an Opposition und Widerstand zu erinnern, sagt Geschäftsführerin Kaminsky. Nun sei die Zeit reif, gesellschaftliche Prozesse breiter in den Blick zu nehmen. Und sie verweist auf Brandenburg: Dort sei Ulrike Poppe nicht mehr als Stasibeauftragte des Landes, sondern als „Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ eingesetzt worden.

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