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Politik: Seid nett zueinander

Immer weniger Mitglieder und ein schlechtes Image: In Ulm trösten Kirche und Gewerkschafter einander

In der staubigen, langen Halle riecht es nach Schmieröl. Blechschränke stehen an den Betonmauern, davor die Werkstattgruben, auf denen die Omnibusse der Ulmer Verkehrsbetriebe gewartet werden – geradezu ein klassisches Ambiente für die Diskussion auf dem Katholikentag über soziale Fragen und das Verhältnis zwischen Kirche und Gewerkschaften. Beide haben vieles gemeinsam: Ihnen laufen die Mitglieder weg, in der großen Studie von McKinsey über das Vertrauen in Institutionen belegten sie abgeschlagen die letzten Plätze. Sie gelten nicht mehr als auf der Höhe der Zeit oder bestenfalls als lästige Mahner gegen Wirtschaftsdynamik und Zeitgeist.

Entsprechend vorsichtig gingen ihre Vertreter miteinander um, der IG-Metall-Chef Jürgen Peters und der Trierer Bischof Reinhard Marx, unter den deutschen Oberhirten der Sprecher für soziale Fragen. „Wir können uns eine humane Arbeitswelt ohne die Gewerkschaften nicht vorstellen“, erklärte Marx und lehnte der Forderung aus den Reihen der Christdemokraten, Tarifverträge per Gesetz zu eher unverbindlichen Leitlinien herabzustufen, ab. Peters revanchierte sich, indem er die Forderung der Wirtschaft nach mehr Sonntagsarbeit und weiterer Flexibilisierung der Arbeitszeit als eine irrige Ideologie bezeichnete. Zum Schluss trösteten sich die beiden gegenseitig. Weder die Kirchen noch die Gewerkschaften würden eines nahen Tages überflüssig: Die Gewerkschaften hätten viel zu viel zu tun, erklärte Peters. Und die Kirchen müssten für alle diejenigen eintreten, die ihre Interessen nicht organisieren könnten – Alte, Kranke, Arbeitslose und Migranten, sagte Marx.

Diese Selbstbeschreibung allerdings stößt innerhalb der katholischen Kirche mittlerweile auf immer lautere Kritik. So attackierte Heiner Geißler das Ende 2003 von der Bischofskonferenz vorgelegte Papier „Das Soziale neu denken“ als einen „Widersinn gegen das Evangelium“. Die Kirche befinde sich mittlerweile „im Schlepptau neoliberaler Meinungsmacher“, sagte er. Eine Kirche, die hinnehme, dass Millionen arbeitslos seien, Managergehälter und Aktienkurse aber nach oben schnellten, verliere zu Recht das Vertrauen der Menschen – Sätze, die der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Joachim Meyer, als „nicht hilfreich“ und „peinlich“ zurückwies. Ex-Sozialminister Norbert Blüm geißelte die Aussagen in dem Kirchentext als „Häresie aus Bischofsmund“. Kritiklos werde die neoliberale Dreifaltigkeitslitanei nachgebetet – Wettbewerb, Privatisierung, Kostensenkung. In ihrem Papier plädieren die Bischöfe für einen Umbau des Sozialstaats. Sie kritisieren darin ein überzogenes Anspruchsdenken, fordern zugleich aber eine größere Solidarität mit Familien und Ausgegrenzten.

Bischof Marx verwahrte sich dagegen, als Neoliberaler und Verräter an der christlichen Soziallehre hingestellt zu werden. Mit einem Seitenhieb auf Geißler und Blüm fügte er hinzu: Auch unter den Christen gebe es Leute, die meinten, wenn man nur den Status quo beibehielte, „dann werden wir die Zukunft schon gewinnen. Das kann nicht funktionieren.“ Dem pflichtete Meyer bei. Es sei nicht ausreichend, die Kritik am heutigen Sozialstaat einfach nur auf Biegen und Brechen abzuwehren. „Wir werden den Sozialstaat nur retten, wenn wir uns offen mit seinen Fehlern auseinandersetzen.“

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