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Politik: Seien wir mal ehrlich

Von Stephan-Andreas Casdorff

Ist das ein Wahlkampf! Es ist ein Wahlkrampf. Man sollte mal mitstenografieren, was die Leute so reden, schrieb Kurt Tucholsky. Manche tun es inzwischen. Wir lesen: Beleidigungen, Belehrungen, Beschimpfungen. Was die Politiker sich, einander und uns, dem Publikum, zumuten, ist schier unerträglich, ist eine Zumutung. Nun heißt es ja, es sei Wahlkampfzeit, und da sei das eben so. Besser wäre: Die Zeit des Wahlkampfs ist die Zeit für Wahrheiten.

Man muss ihn nicht wählen, man muss ihn nicht einmal mögen, aber hat Edmund Stoiber wirklich in allem so furchtbar Unrecht? Seien wir ehrlich: Oskar Lafontaine und Gregor Gysi stehen einem Zusammenschluss der Enttäuschten, Beleidigten, Erniedrigten vor, der Frustrierten eben. Anstatt daraus den reichlich kurzen Schluss zu ziehen, der bayerische Hasperl wollte jetzt einfach mal allen Ostdeutschen die Meinung sagen, wäre es nötig, sachlich und (selbst)kritisch dieses Phänomen zu benennen: dass aus Enttäuschung das Programm einer Partei für ganz Deutschland werden kann.

Man wird schon nach den Ursachen ihrer Resonanz fragen müssen, schreibt der Politikprofessor Franz Walter. Natürlich kann man sagen, dass die Linkspartei schwarz-weiß malt, dass sie sehr vereinfacht, was höchst kompliziert ist. Aber komplizierte Sprache ist noch kein Ausweis von Kompetenz. Die Modernisierungsphrasen haben Deutschland nicht so weit vorangebracht, dass es kein Einfallstor für diese Enttäuschten-Partei geben könnte. Zumal all die anderen die „Autorität einer alternativlosen Sachverständigkeit“ (Walter) für sich beanspruchen. Nur: Was bleibt dann dem, der demokratisch „Einspruch“ sagen will?

Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung, sagt Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Hier kommen wir zum Kern des Problems, das die vergangene Woche so richtig deutlich gemacht hat. Im Grunde hat Merkel Recht: Richtig und wichtig wäre, wenn die Deutschen eine Richtung wählten. Dazu aber müsste der Wahlkampf sich verändern, er müsste sich, im wohlverstandenen Sinne!, radikalisieren, müsste alle Positionen ohne Verschleierungen verdeutlichen. Es müssten einander konkurrierende Modelle gegenüberstehen, sagen wir vereinfacht: Sinn oder Bofinger, benannt nach den beiden widerstreitenden Professoren.

Im einen würden alle die Voraussetzungen geschaffen, die Unternehmen aus deren Sicht helfen, ganz konsequent, wirtschaftsfreundlich und -liberal, mit niedrigsten Steuersätzen in der Spitze. Motto: Wirtschaft wird nur in der Wirtschaft gemacht, der Staat erhält das, was des Staates ist. Er garantiert Bürgerrechte, Datenschutzrechte, Menschenrechte, Sicherheit. Im anderen Modell wird Ernst gemacht mit einer Konjunkturankurbelung durch Investitionen, durch Infrastrukturprogramme, ohne Rücksicht auf Defizitkriterien der EU; mit staatlicher Intervention und hohen Steuersätzen für Wohlhabende zur Stärkung des Staates bei den gesamtgesellschaftlichen Steuerungsaufgaben. Motto: Die Wirtschaft hat nur eine dienende Funktion, der Staat erhält das, was er zur Erhaltung seiner Stärken braucht.

Das ist nur eine Skizze, es sind keine Entwürfe. Merkel scheut sie, Schröder ebenso. Dahinter steht wahrscheinlich auch die Angst, Tabus anzutasten. Oder auch nur Fragen zu stellen, die zu Aufruhr in der so genannten politischen Klasse führen können, zu Beschimpfungen, Belehrungen, Beleidigungen: Kann es in diesen Zeiten noch Vollbeschäftigung geben? Oder Wachstum? Und es steht die Angst davor, die Wahrheit zu finden: dass der Mittelweg, den seit Jahrzehnten alle Bundesregierungen gegangen sind, den sie immer wieder aufs Neue versucht haben, offenkundig nicht zum Ziel geführt hat. Der Status quo wird gehalten, bestenfalls, und für Millionen ist das schlecht. Das sagen auch schon seit Jahren die Linken wie die Rechten übereinstimmend.

Die Politik sollte jetzt mal mitstenografieren, was die Leute so reden. Sie hat viele enttäuscht. Und darf die Folgen nicht scheuen.

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