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Sekten-Beratungszentrum: "Die Salafisten sind für junge Muslime wie eine Familie"

In der Sekten-Informationsstelle des Landes Nordrhein-Westfalen melden sich auch Angehörige von Jugendlichen mit Kontakten in die Salafisten-Szene. Christoph Grotepass berät sie.

Herr Grotepass, Sie beraten Angehörige von Menschen, die sich radikalisieren und Sekten anschließen. Sind Ihnen dabei auch Fälle aus der Salafisten-Szene vorgekommen?

Die Thematik beschäftigt uns erst seit wenigen Jahren. Deshalb haben wir nicht viele Beratungsfälle aus diesem Milieu. Aber mir ist ein Fall bekannt, in dem der Betroffene tatsächlich in ein Ausbildungscamp ins Ausland gegangen ist. Zu diesem Menschen haben wir keinen Kontakt mehr. Ich möchte aber betonen, dass das Einzelfälle sind und wir noch nicht viel Erfahrung mit radikalisierten Muslimen haben.

Wer kommt zu Ihnen und warum?

Es sind vor allem Eltern, die sich Sorgen machen um ihre heranwachsenden Kinder. Sie suchen unsere Beratungsstelle auf, weil sie bemerken, dass sich ihre Kinder stark verändert haben. Wir hatten mit Jugendlichen zwischen 14 und 19 Jahren zu tun.

Verläuft die Radikalisierung junger Muslime anders als bei anderen Glaubensrichtungen?

Bestimmte Züge kennen wir aus dem fundamentalistischen Christentum. Zum Beispiel die Suche nach klaren Regeln, die für alle gelten sollen.

Woher kommt diese Sehnsucht?

Die Betroffenen sind oft junge Männer mit einem geringen Selbstwertgefühl. Feste Bezugspunkte sind da wichtig für die eigene Stabilität.

Woran erkennt man, dass ein Jugendlicher in die Islamisten-Szene gerät?

Die Radikalisierung macht sich vor allem in der strikten Trennung der Geschlechter bemerkbar. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau wird von den Salafisten strikt abgelehnt. Stattdessen wird die Gleichwertigkeit propagandiert, die allerdings umgedeutet wird. Auch die Argumentationsmuster verändern sich auffallend.

Was passiert, wenn die Radikalisierung fortschreitet und die Kinder sich abwenden?

Was meinen Sie damit?

Das Gegenüber übernimmt mehr und mehr das dualistische Weltbild der Salafisten. Da gibt es das "Wir" und "Die". Die Salafisten sprechen immer von der "Umma", von der weltumspannenden Glaubensgemeinschaft, die wie eine Familie ist. Das klingt sehr verlockend.

Was passiert, wenn die Radikalisierung fortschreitet?

Die Jugendlichen übernehmen den Sprachgebrauch der Salafisten. Das geht so weit, dass es irgendwann massive Verständigungsprobleme innerhalb der Familie gibt. Die Eltern werden schließlich abgelehnt. Die Salafisten sind nämlich ruckzuck dabei, andere als "Ungläubige" zu verurteilen.

Also richtet sich die Abneigung nicht nur gegen Christen, sondern auch gegen Muslime?

Das sogar noch mehr. Muslime stehen natürlich mehr im Fokus der Salafisten.

Warum wenden sich die Kinder von den Eltern ab?

Die Kinder werfen den Eltern vor, sich damit abgefunden zu haben, dass der Islam in Deutschland keine Hochachtung erfährt. Bei den Salafisten ist genau das Gegenteil der Fall. Die eigene Herkunft, die vorher als Problem empfunden wurde, wird dann plötzlich Teil der Lösung. Aber auch Jugendliche, die gar nicht aus einem muslimischen Kontext kommen, können sich mit dieser Gemeinschaft solidarisieren. Nach dem Motto: Auch ich bin ein Außenseiter und hier werde ich plötzlich gebraucht.

Können die Angehörigen dann überhaupt noch zu den Betroffenen durchdringen?

Das hängt davon ab, wie weit die Radikalisierung fortgeschritten ist und wie viel innerhalb der Familie über solche Themen geredet wird. In einer Familie, in der die Gesprächskultur stimmt und gegenseitige Wertschätzung herrscht, sind Jugendliche grundsätzlich schon mal weniger gefährdet. Es ist wichtig, die Religion zu thematisieren. Wer zu Hause gute Informationen über den Islam erhält, ist wahrscheinlich weniger empfänglich für die Hasspredigten eines Pierre Vogel.

Je weiter die Radikalisierung fortgeschritten ist, desto schwieriger gestaltet sich die Kommunikation. Irgendwann kommt man mit Argumenten nicht mehr weiter. Der Fundamentalismus propagiert eine Lösung für alle Probleme dieser jungen Menschen. Damit kann unser pluralistisches Weltbild nicht konkurrieren. Man kann nur versuchen zu begreifen, was derjenige eigentlich braucht und sucht. Meistens ist das eine Heimat und Stabilität.

Wie helfen Sie Ihren Klienten konkret?

Wir schauen: Was ist die Geschichte? Wie ist derjenige da hin gekommen? Oft stellen wir dann Brüche in der Biographie fest. Da setzen wir an. Es geht darum, das Umfeld zu stabilisieren und ins Gespräch zu kommen. Auf keinen Fall sollte man auf Konfrontation gehen.

Das Interview führte Laura Stresing

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