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Politik: Selbstbild der Deutschen: Herrje, werdet endlich erwachsen! (Gastkommentar)

Oh, nein. Das kann doch nicht der Ernst des gescheiten Salomon Korn sein.

Oh, nein. Das kann doch nicht der Ernst des gescheiten Salomon Korn sein. Korn meint, dass das Buch "The Holocaust Industry" von Norman Finkelstein nicht ins Deutsche übersetzt und vom Piper Verlag veröffentlicht werden darf. Korns Vorschlag ist schlecht für die deutschen Juden und die Demokratie - und leider gut für Finkelstein.

Es gibt ein eisernes Gesetz für Autoren. Und das heißt: Das Schlimmste, was passieren kann, ist es, ignoriert zu werden. Und andersherum: Nichts kann besser sein, als in dem Ruf zu stehen, gefährlich zu sein. Da entsteht der Hauch von etwas Mysteriösem - und wer sehnt sich nicht heimlich danach, etwas Verbotenes zu tun.

Und nicht nur das: Wir leben in der Postmoderne, einer Zeit, in der Gut und Böse ziemlich relativ geworden sind. Jedes Buch, das etwas auf sich hält, wird mit dem Versprechen promotet, dass es eine Kontroverse auslösen wird. Gefragt ist nicht wissenschaftliche Genauigkeit, sondern entertainment. Finkelsteins Buch ist unbedeutend. Wenn man es angreift, ehrt man es. Besser wäre es, diese Niete gelassen zu betrachten - so wie es Nieten verdienen.

Finkelsteins Buch mag unwichtig sein, ein Wirrwarr aus Verleumdungen und einigen längst bekannten Wahrheiten - aber die Reaktion auf dieses Pamphlet ist keineswegs unwichtig. Die Aufgeregtheit, die nervösen Reaktionen beweisen, dass immer noch die gute alte Konsens-Kultur der Bonner Republik die Berliner Republik bestimmt. Und sie zeigen, wie unsicher das Selbstbild Deutschlands noch immer ist. Wenn ein Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschand faktisch ein Bücherverbot erwägt, ist das nicht nur albern, sondern auch ein Zeichen, dass man immer noch wenig Vertrauen in die deutsche Demokratie hat.

Stets wenn Debatten in Deutschland anfangen, versucht man die Außenseiter zu eliminieren. Das war beim Historikerstreit in den 80ern so, wo der gute Ruf von manchen Beteiligten ruiniert wurde, es wiederholte sich Ende der 90er während der so genannten Bubis-Walser-Debatte. Meinungsführer bekommen Angst, Meinungen zu haben. Sogar begabte Schreiber wie Arnulf Baring oder Frank Schirrmacher neigen dazu zu insinuieren, anstatt offen zu erklären, worauf man hinaus will - nämlich eine stolze Berliner Republik, in der der Holocaust nicht mehr Deutschlands Identität stiftet.

Ist das gefährlich? Vielleicht - oder vielleicht doch nicht. In jedem Fall müsste Deutschland diese Debatten öffentlich führen. Aber da gerade eine Welle rechter Gewalt das Land überzieht, ist Bundeskanzler Schröder, der ja gegen ein Holocaust-Mahnmal war, auf Safari nach Ostdeutschland gefahren, um zu beweisen, dass er besorgt, sehr besorgt, ist. Denn diese schrecklichen Entwicklungen können dem Ruf Deutschlands im Ausland doch erheblich schaden. Als ob die plötzliche, besorgte Heuchelei des Bundeskanzlers nicht reichte - zur gleichen Zeit begnadigt Eberhard Diepgen prominente DDR-Politiker. Braun muss nicht gleich Rot sein, aber da ist eine groteske Doppelmoral. In dem Umgang mit seinen Vergangenheiten zeigt Deutschland noch immer, wie unreif es ist. Früher hieß es "Deutschland erwache." Jetzt müsste es heißen: Deutschland, werde erwachsen!

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