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Politik: Selbsterfahrung

Foto: Rückeis / Montage: DP HINTER DEN LINDEN Manche reisen in ein Kloster am Südhang des Himalaya, lassen sich den Kopf kahl scheren und geben sich der Meditation hin. Andere klettern den Himalaya hinauf auf der Suche nach der ultimativen Perspektive.

Von Robert Birnbaum

Foto: Rückeis / Montage: DP

HINTER DEN LINDEN

Manche reisen in ein Kloster am Südhang des Himalaya, lassen sich den Kopf kahl scheren und geben sich der Meditation hin. Andere klettern den Himalaya hinauf auf der Suche nach der ultimativen Perspektive. Dritte versenken sich daheim in sich selbst, umgeben von Räucherstäbchen, dünnen Tees und ratgebender Literatur. Dabei gibt es einen viel einfacheren Weg, einen Blick in die Unendlichkeit des eigenen Selbst zu erhaschen. Man gehe in den Reichstag, Osteingang, und fahre mit dem Fahrstuhl. Der hat auf der linken Seite einen Spiegel und auf der rechten auch, und weil diese Spiegel ein bisschen gegeneinander geneigt sind, entschwindet jeder Blick hinein in einer sanften Kurve ewiger Wiederholungen im nebulösen Nirwana. Sehr hübsch. Nur neulich haben zweie in dem Lift gestanden, von denen der eine nicht das Nirwana erspäht hat, sondern sich selbst. Mit dem Anblick war er nicht zufrieden. Mit der unendlichen Vervielfachung des Anblicks war er noch viel weniger zufrieden. „Wahrscheinlich“, sprach der Missgelaunte zu seinem Nachbarn, „liegt das am Spiegel“. Lag es nicht. Es lag an des Lebens Spuren. Das hat der Fahrstuhlbauer eben nicht bedacht: Selbsterfahrung, zumal wenn er ihr unverhofft begegnet, ist nicht jedermann willkommen.

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