zum Hauptinhalt
Auch heute noch werden Opfer von Srebrenica beerdigt.

© dpa

Serbien und Srebrenica: Verdrängte Vergangenheit

Serbiens Führung weigert sich, Srebrenica als Völkermord anzuerkennen. Doch es gibt inzwischen auch andere Stimmen im Land.

Srebrenica hat sie wieder hervorgebracht. Vor dem 20. Jahrestag der Ermordung von rund 8000 Muslimen durch serbische Truppen und Milizen kamen in Belgrad die alten Reflexe durch. Die serbische Regierung setzte in den vergangenen Tagen alle Hebel in Bewegung, um eine UN-Resolution zu verhindern, in der das Massaker als Völkermord gebrandmarkt werden sollte.

Belgrad wollte nicht nur den Begriff Völkermord getilgt sehen, sondern forderte auch die Anerkennung serbischer Opfer im Bosnienkrieg. Da Großbritannien die Resolution formuliert hatte, schrieben die Serben sogar an die britische Königin mit der Bitte, sie möge Einfluss auf ihre Regierung nehmen.

Aufrechnung der Opfer

Der nationalkonservative Präsident Tomislav Nicolic, einst Vizepremier unter Slobodan Milosevic, hatte vor Jahren bereits einmal für die Verbrechen in Srebrenica um Entschuldigung gebeten. Nun machte er die Teilnahme bei den geplanten Feierlichkeiten in Srebrenica jedoch davon abhängig, dass der bosnische Vertreter im Staatspräsidium von Bosnien- Herzegowina, Bakir Izetbegovic, mit ihm Orte besuche, in denen vor 20 Jahren Massaker an Serben verübt wurden. Es sei nicht moralisch, einen Unterschied zwischen den Opfern zu machen, hatte Präsidentenberater Ivan Mrkic verkündet.

Versöhnliche Töne

Nachdem Russland die UN-Resolution am Mittwoch mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat verhindert hatte, versuchte Premier Alexsandar Vucic, die Wogen ein wenig zu glätten. Er wolle die Entscheidung bei den Vereinten Nationen nicht als Sieg feiern, sagte er am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Dort kündigte er auch an, am Sonnabend nach Srebrenica reisen zu wollen, „um dort Serbien, das wir alle so sehr lieben, mit erhobenem Haupt zu repräsentieren, und um zu zeigen, dass wir dieses schreckliche Verbrechen verurteilen“.

Zivile Gruppen setzen Zeichen

Dieser Akt müsse größer sein als Politik, fügte Vucic, einst ein radikaler Nationalist, in der außerordentlichen Presserunde noch hinzu. Das hatten andere in Serbien schon sehr viel früher erkannt als ihr Premier. Die „Frauen in Schwarz“ zum Beispiel, die sich als feministisch und anti-militaristisch bezeichnen. Sie hatten sich schon früh und ohne jede Bedingung entschlossen, am Sonnabend in Srebrenica der Opfer zu gedenken. Eine weitere serbische Initiative will am Jahrestag tausende Serben dazu bringen, sich stellvertretend für die Opfer von Srebrenica vor das Belgrader Parlament zu legen. „Es gibt in Serbien immer mehr Menschen, die bereit sind, die Verstrickungen ihres Landes in Verbrechen zu diskutieren“, sagt Judith Brand, die für das Forum Ziviler Friedensdienst (ZFD) Versöhnungsprojekte auf dem Balkan betreut. Im ZFD haben sich 37 Friedensorganisationen zusammengeschlossen, die im Nahen Osten, auf dem Balkan und in Südostasien arbeiten. „Wir bauen keine eigenen Projekte auf, sondern arbeiten mit lokalen Initiativen, die sich für die Vergangenheitsbewältigung und die Entwicklung einer Erinnerungskultur einsetzen“, erklärt Brand.

Kritische Fragen

Auf dem Balkan gebe es inzwischen „viele Leute, die kritisch nachfragen“, sagt Brand. Antworten erhalten sie allerdings nur selten. So werden die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien in Geschichtsbüchern weitgehend ausgeklammert. „Aber es hat ja auch in Deutschland eine neue Generation gebraucht, um eine kritische Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten in Gang zu setzen“, betont Brand.

In der Friedensarbeit dürfe es aber nicht nur um die Vergangenheit gehen, ergänzt sie. Im bosnischen Tuzla ist daher im August ein großes Jugendtreffen mit Teilnehmern verschiedener Balkanstaaten und auch aus anderen europäischen Ländern geplant. In Filmen, Workshops und Theatervorführungen soll es dann um Zivilcourage gehen – ein Thema, das auch für die Gesellschaft der Zukunft wichtig sei, sagt Brand.

Mutige Abgeordnete

Zivilcourage kann man auch Aida Corovic bescheinigen. Die Serbin sitzt für die Demokratische Partei im Belgrader Parlament und hat dort einen Antrag serbischer Muslime für eine Srebrenica-Resolution unterstützt, in der die Leugnung des Völkermordes verurteilt werden sollte. Sie tue das für die Zukunft Serbiens und serbischer Kinder, sagte Corovic der Zeitung "Blic" – den alten Reflexen zum Trotz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false