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Wer als Kind missbraucht wird, leidet oft ein Leben lang.

© picture alliance / dpa

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche: Alles muss ans Licht

Eine nationale Aufarbeitungskommission soll Fälle von sexuellem Missbrauch in Institutionen und Familien aufdecken und untersuchen

Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Deutschland sollen umfassend aufgearbeitet werden. Dazu hat Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, eine unabhängige Kommission eingesetzt. Bislang wurden Fälle aus der Vergangenheit nur schleppend und punktuell aufgeklärt. Das Gremium aus Therapeuten, Juristen und Wissenschaftlern unter Vorsitz der Frankfurter Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen will Strukturen aufdecken, die Missbrauch in der Vergangenheit ermöglicht und Aufarbeitung verhindert haben und Forschung auf diesem Gebiet initiieren. Sexuelle Gewalt im familiären Bereich soll ebenso untersucht werden wie Missbrauch in Institutionen, in der Bundesrepublik ebenso wie in der DDR. Der Bundestag hatte sich vergangenes Jahr für die Einsetzung der Kommission ausgesprochen. Ähnliche nationale Aufarbeitungskommissionen hat es auch in Irland, Australien, Kanada und den Niederlanden gegeben.

Es wird zu viel weggeschaut

„Es wird noch zu viel weggeschaut, bagatellisiert und verdrängt“, sagte Rörig am Dienstag in Berlin, wo die Kommission ihr Arbeitsprogramm vorstellte. Nach seinen Hochrechnungen und Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO leben in Deutschland derzeit eine Million Kinder und Jugendliche, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind. Die Opferzahlen bleiben konstant hoch, sagte Rörig. „Das Schweigen, Schönreden und Wegschauen muss uns beschäftigen“, sagte die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen. Die Kommission ist zunächst für drei Jahre eingesetzt, arbeitet ehrenamtlich und wird vom Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium mit drei Millionen Euro unterstützt. Mitglieder aus Betroffenen-Organisationen sind beratend tätig. 2017 soll es den ersten Zwischenbericht geben.

Die Kommission ist auf die Mithilfe der Institutionen angewiesen

Johannes-Wilhelm Rörig hatte vergeblich von der Bundesregierung gefordert, die Arbeit der Kommission auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Ohne diese Grundlage ist das Gremium darauf angewiesen, dass die Institutionen freiwillig Akteneinsicht gewähren. Im Mittelpunkt der Arbeit sollen deshalb die Aussagen von Betroffenen stehen. Das Gremium hat eine eigene Telefon-Hotline eingerichtet und hofft, dass sich viele Betroffene und auch Täter melden. Befragungsteams mit Therapeuten und Juristen stehen bereit, um die Auskunftswilligen zu besuchen und ihre Aussagen aufzunehmen.

Der Druck zu schweigen, ist in Familien besonders groß

Der Druck zu schweigen, sei in Familien besonders groß, sagte Traumapädagogin und Kommissionsmitglied Tamara Luding und appellierte an Betroffene: „Bitte brechen Sie trotzdem Ihr Schweigen, es wird Ihnen geglaubt“.
Den großen Überblick über Anzahl und Art der Fälle wird aber auch die nationale Aufarbeitungskommission nicht leisten können, zumindest nicht bis 2019. Dafür bräuchte es eine gesetzliche Grundlage und mehr Geld, sagte Rörig. Man wolle deshalb mit den Anhörungen von Betroffenen beginnen und in die Tiefe bohren und so strukturelle Voraussetzungen für Missbrauch herausarbeiten. In der nächsten Legislaturperiode will Rörig erneut über eine gesetzliche Grundlage und die Aufstockung der Mittel verhandeln.

Betroffene und Zeitzeugen können sich ab sofort telefonisch unter 0800-4030040 mit der Kommission in Verbindung setzen, kostenfrei und auch anonym. Weitere Informationen unter www.aufarbeitungskommission.de

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