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Geschlechterkampf. Viele Soldatinnen klagen dem neuen Wehrbericht zufolge über Diskriminierungen. Aus Angst vor Nachteilen gebe es allerdings häufig Hemmungen, solche Vorkommnisse zu melden.

© dpa

Sexuelle Übergriffe bei der Bundeswehr: Angst vor der Macho-Truppe

Sexuelle Übergriffe sind für Soldatinnen ein größeres Problem, als die Bundeswehr eingestehen möchte. Zu diesem Schluss kommt der Wehrbeauftragte, der auch insgesamt von viel Frust zu berichten weiß.

Von Robert Birnbaum

Hellmut Königshaus ist eigentlich ein Mann mit klaren Meinungen, aber an einem Punkt ist der Wehrbeauftragte des Bundestages vorsichtig geworden. Früher habe er vermutet, dass bei sexuellen Übergriffen in der Truppe die Dunkelziffer niedriger sein könnte als im zivilen Leben, sagt Königshaus: „Das ist etwas, was ich heute so nicht mehr sagen würde.“ Zu oft sind ihm mittlerweile Soldatinnen begegnet, die sich nicht trauen, übergriffige Machos in Uniform bei Vorgesetzten anzuzeigen: Weil sie Nachteile für sich selbst und die eigene Laufbahn befürchten oder weil sie davon ausgehen, dass die Sache im Sand verläuft, „weil“, wie es im nüchternen Tonfall des Jahresberichts 2013 heißt, „häufig persönliche Freundschaften zwischen dem Täter und den mit der Aufklärung des Sachverhalts betrauten Personen bestehen“.

Anzeigen bleiben häufig folgenlos

Das ist ein massiver Vorwurf an die Truppe. Erst vor drei Tagen hatte das Verteidigungsministerium die jüngste eigene Studie zum „Truppenbild ohne Dame?“ veröffentlicht, die zu ähnlichen Ergebnissen kam: Seit die Armee sich 2001 vollständig für Frauen geöffnet hat, ist das Betriebsklima für Soldatinnen nicht immer besser, sondern eher schlechter geworden. In Königshaus’ Bericht für den Bundestag wird übrigens noch angemahnt, die 2011 angefangene Studie endlich vorzulegen – schließlich sei sie seit mehr als einem Jahr fertig. Dass die neue Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) diesen Vorwurf vorauseilend erledigt hat, findet der FDP-Mann lobenswert.

Gelöst ist das Problem damit natürlich nicht, zumal sich das Ministerium inzwischen dem Verdacht ausgesetzt sieht, beim Thema sexuelle Übergriffe dafür gesorgt zu haben, dass die eigene Studie gefälliger wirkt: Anders als in der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2005 sind in der Befragung 2011 ausgerechnet die Fragen nicht mehr gestellt worden, die auf den Umgang von Vorgesetzten mit Beschwerden von Soldatinnen zielten.

2005 zeigte sich ein ähnlich unerfreuliches Muster wie es der Wehrbeauftragte immer noch wahrnimmt: Drei Viertel der Soldatinnen gaben an, dass sie sexuelle Belästigungen gar nicht erst gemeldet haben; von denen, die es taten, musste jede fünfte miterleben, dass das völlig folgenlos blieb. Der im Jahresbericht 2013 erwähnte Vorgesetzte, der für eine heimliche Filmaufnahme von einer Soldatin im Umkleideraum nur ein Lachen übrig hatte, scheint also kein Einzelfall zu sein. Als eine Möglichkeit, die Situation zu bessern, regt Königshaus an, dass künftig die Gleichstellungsbeauftragten Soldatinnen im Beschwerdeverfahren begleiten sollten. Als „letzte Möglichkeit“ müsse man zudem die Möglichkeit ins Auge fassen, einem Vorgesetzten wegen Befangenheit die Ermittlung aus der Hand zu nehmen.

„Es sind fast immer dieselben, die belastet werden“

Was ansonsten den Zustand der Truppe angeht, bleibt Königshaus, was er immer schon war: ein, gelinde gesagt, skeptischer Beobachter der Armeereform unter Minister Thomas de Maizière. „Der bisherige Gang der Neuausrichtung gibt Anlass zu der Sorge, dass viele ihrer Ziele nicht erreicht werden“, sagt der vorläufig letzte Freidemokrat mit einem Sitz im Bundestag. Von „hohlen Strukturen“ spricht er, gar von „Potemkinschen Dörfern“, die da zu entstehen drohten. Die Probleme, die er konkret aufzählt, sind altbekannt: Es gibt viel zu wenige Ärzte und Sanitäter, auch bei anderem Fachpersonal wie Spezialpionieren – die bei jedem neuen Einsatz als erste vor Ort sind und die Grundstrukturen aufbauen – herrschen weiter chronischer Mangel und Überlastung.

„Es sind fast immer dieselben, die belastet werden“, klagt Königshaus. Und obwohl er sich zu aktuellen Fragen wie der geplanten Einsatz-Ausweitung in Afrika nicht äußern mag, rät der FDP-Mann Regierung und Parlament generell dazu, sich vor internationalen Selbstverpflichtungen vorher zu vergewissern, „was tatsächlich noch leistbar ist“.

Abhilfe ist freilich schwer zu schaffen, und bei hochspezialisierten Fähigkeiten wie der Flughafen-Feuerwehr sieht der Wehrbeauftragte sie nicht einmal theoretisch in Sicht. Dass ganze Geschwader Flugpausen einlegen mussten, weil am Boden keiner da war, der im Notfall löschen und retten konnte, wird also wohl auch in diesem Jahr wieder vorkommen.

Den Soldaten selbst liegt freilich in der Masse anderes im Magen. Die Eingaben haben einen Rekordstand erreicht gemessen am Umfang der Truppe – fast 5100 Soldaten beschwerten sich, knapp 2,8 Prozent. Der Löwenanteil der Beschwerden galt Besoldungsfragen, auch Probleme mit der eigenen Karriereplanung und mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nahmen breiten Raum ein. Das ist auch nicht verwunderlich in einer Armee, die durch die jüngste Reform flächendeckend auf die Reise gehen muss – sei es im wörtlichen, sei es im übertragenen Sinne neuer Verwendungen.

Dabei beobachtet Königshaus auch einen neuen Trend in Sachen Familie: Dass Frau und Kinder mit dem Vater zusammen umziehen, wird seltener. Galt der ständige Ortswechsel für Soldatenfamilien lange als selbstverständliche Norm, nehmen Väter ,oder eben neuerdings Mütter, immer öfter lange Pendelwege in Kauf. Dahinter stecken nicht nur materielle Fragen – an Bundeswehr-Standorten gehen Mieten gern mal steil nach oben –, sondern gesellschaftlich gewandelte Rollenbilder. Auch Soldatenfrauen sind häufiger berufstätig. Und auch Soldatenkinder kämpfen mit einem Bildungsföderalismus, der im Ergebnis dazu führt, dass ein Umzug ins Ausland oft problemloser wäre als der Schritt über eine Bundeslandgrenze.

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